Billig-Schnitzel aus Massentierställen haben Mäster insbesondere in der Hochburg Niedersachsen und Händler wie ALDI reich und ganze Nachkriegs-Generationen satt gemacht. 90 Prozent aller Schnitzel wachsen noch immer so heran.

Bald vorbei: Ein Teller voller Billig-Schnitzel? © pixabay.com
Bald vorbei: Ein Teller voller Billig-Schnitzel? © pixabay.com

Läutet nun ausgerechnet einer der größten Profiteure das Ende des Billig-Schnitzels ein? Und dann auch noch auf Kosten ziemlich allein der Bauern?

Bisher hieß es: Viel Fleisch für wenig Geld. Wie kaum ein anderes Unternehmen steht der Discounter ALDI für diese Philosophie. Doch vor ein paar Monaten sorgte ALDI für ein kleines Erdbeben – bei den Mästern.

Der Ärger bei den Bauern über die Billig-Schnitzel

Die Bauern sollen künftig in bessere Ställe investieren – ohne, dass sie dafür einen höheren Preis bekämen. Den höheren Preis darf ALDI in der Kühltheke wegen der höheren Haltungsform verlangen. Die Bauern werden nicht nach der Haltungsform entlohnt, sondern bekommen ihr Geld weiter nach Gewicht des Schweines.

Die ALDI-Ankündigung

ALDI kündigte am 25. Juni 2021 an: „Lasst uns unsere Haltung ändern. Für mehr Tierwohl stellen wir bei ALDI unser Frischfleisch auf die tiergerechteren Haltungsformen 3 (Außenklima) und 4 (Premium) um. Das heißt unter anderem mehr Platz, mehr Auslauf und mehr Frischluft.“

Ausgerechnet ALDI schafft Fakten. Bei ALDI in der Kühltheke soll ab 2030, also in 8 Jahren, nur noch Frischfleisch von Tieren aus besserer Haltung liegen.

Zur Zeit wird noch Fleisch in allen Preiskategorien angeboten. Auch aus der niedrigsten Haltungsstufe 1 (Stallhaltung).

Warum hat sich ALDI dafür entschieden, sein Fleischsegment zu verändern?

Tobias Heinbockel, Managing Director Operations ALDI NORD in Essen © Pressefoto ALDI NORD
Tobias Heinbockel, Managing Director Operations ALDI NORD in Essen © Pressefoto ALDI NORD

Tobias Heinbockel aus Düsseldorf, er wechselte zum 1. Dezember 2021 vom Managing Directory im deutschen Kategorie Management von Aldi Nord zum Managing Directory Operation für den internationalen Bereich der Aldi Nord Einkauf in Essen, erklärte dem NDR-Magazin PANORAMA in der Ausstrahlung am 13. Januar 2022: „Wir haben in den letzten Jahren immer mehr eine stärkere Nachfrage unserer Kunden nach mehr Tierwohl, nach mehr Regionalität, nach der Frage ‚Wo kommt das Essen her?‘ und ‚Wie geht es den Tieren dabei, was ich esse?‘, ‚Wie sind die Tiere aufgewachsen?‘ Und dieser Frage werden wir gerecht durch eine Ware mit mehr Tierwohl.“

Bereits 2022: Bei ALDI 15 Prozent Umstellung, also weniger Billig-Schnitzel

Heinbockel setzte nach: „Ich kann Ihnen sagen, ALDI meint es ernst. Wir meinen ernst, das, was wir sagen. Und wir meinen ernst, das, was wir machen. Und wir werden bereits dieses Jahr 15 Prozent unseres Frischfleischsortiments umstellen. Hin zu mehr Tierwohl in höherer Haltungsform.“

„Der Kunde ist bereit“

Laut dem Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) haben sich die Deutschen im Jahr 2020 deutlich häufiger für Bio-Fleisch entschieden als im Vorjahr. „Der steigende Umsatz mit nachhaltig erzeugter Ware zeigt, dass unsere Kunden bereit sind für einen Bewusstseinswandel“, sagt Tobias Heinbockel. „ALDI tritt den Beweis an, dass ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis und Nachhaltigkeit sich keineswegs ausschließen. Das haben wir in den vergangenen Jahren immer wieder bewiesen und wir gehen nun noch einen entscheidenden Schritt weiter.“

Auch andere Handelsketten erklären, ihr Fleischsortiment umzustellen.  Die Folge wäre nichts weniger als ein Komplett-Umbau der Landwirtschaft. Denn 90 Prozent der Schweine stehen heute in geschlossenen Ställen.

Die Reaktion der Bauern

Landwirtin Gerburgis Brosthaus kommentierte im NDR: „Ich finde das eine Unverschämtheit. Einfach eine Unverschämtheit. Einfach als Unternehmen, das mit Schweinehaltung gar nichts zu tun hat, zu verfügen: Wir verkaufen nur noch Schweinefleisch der Haltungsstufe 3.  Sich einen Scheißdreck darum zu kümmern, ob die Landwirte das überhaupt umsetzen können.“

Es geht um nichts weniger als die Zukunft einer ganzen Branche.

Während der Corona-Pandemie haben die Menschen noch weniger Schwein gekauft. Der Export kam durch die Afrikanische Schweinepest ins Stocken.

Heinrich Dierkes, Vorsitzender der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands e.V. (ISN) mit Sitz in Damme in Niedersachsen, sagte: „Als Schweinehalter geht es mir beschissen, Entschuldigung.“

Landwirt Jürgen Pohlmann: „Wirtschaftlich ist das nicht gerade schön. Ja, wir machen Verlust.“

Landwirt Frank Große Hartlage: „Es herrscht eine große Perspektivlosigkeit. Weil, es gibt gesellschaftlich, politisch viele Unsicherheiten. Das ist eigentlich das, was jetzt im Grunde genommen alle bedrückt.“

Landwirtin Gesa Langenberg will trotzdem nicht aufgeben

Sie geht den Stallgang zwischen ihren Schweinen entlang. Die junge Mästerin hat den fast 500 Jahre alten Familienbetrieb im niedersächsischen Bockstedt von ihren Eltern übernommen. Bisher hält sie die Tiere in einem konventionellen Stall auf Betonboden ohne Stroh und ohne Auslauf ins Freie.

Landwirtin Langenberg kann verstehen, dass sich viele Konsumenten wünschen, dass sie ihre Schweine anders halte. Deshalb hat sie entschieden, ihre Tierhaltung zu verändern. Die ersten Durchbrüche in den Wänden sind schon geschafft. Durch sie sollen die Schweine selbständig nach draußen laufen können. Außerdem möchte sie für mehr Platz und Stroh im Stall sorgen.

Bessere Haltung: hohe Investitionen nötig

Auch wenn sie erst einmal nur einen ihrer Ställe umbaut, ist ihr der Schritt nicht leichtgefallen. Sie habe die Pläne lange mit ihrer Familie besprochen, so Langenberg, denn der Umbau bedeute immense Investitionskosten. Sie rechnet mit mehr als einer halben Million Euro. Auch wenn sie eine Förderung vom Land bekomme, den größten Teil trage sie selbst, erklärt die Mästerin.

Doch längst nicht alle Landwirtinnen und Landwirte sind in der Lage, so viel Geld investieren zu können. Nachdem nun auch verschiedene Handelsketten angekündigt haben, in Zukunft immer mehr Fleisch von Tieren aus besseren Haltungsformen anbieten zu wollen, steht die Branche gewaltig unter Druck.

Die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN) erklärte dazu in Panorama, der geforderte Umbau zu Ställen mit Außenklima oder Auslauf habe für die Schweinehalter eine „ähnliche Bedeutung wie die Abkehr vom Verbrennungsmotor für die Automobilindustrie“.

Der Agrarwissenschaftler und Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats des Bundeslandwirtschaftsministeriums, Achim Spiller, sagt, die Landwirte seien „hochgradig verunsichert“, ob sie millionenschwere Investitionen riskieren sollten. Es werde nur funktionieren, wenn die Politik Planungssicherheit ermögliche, so Spiller.

Özdemir: öffentliches Geld für mehr Platz im Stall
Bundesagrarminister Cem Özdemir (56, Bündnis 90/ Die Grünen) will bessere Schweinehaltung fördern © Pressefoto BMEL / Thomas Trutschel / photothek
Bundesagrarminister Cem Özdemir (56, Bündnis 90/ Die Grünen) will bessere Schweinehaltung fördern © Pressefoto BMEL / Thomas Trutschel / photothek

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (56, Bündnis 90/Die Grünen, wohnt mit seiner Familie in einer Dachgeschosswohnung in Berlin Kreuzberg) verspricht im Panorama-Interview zwar öffentliches Geld und sagt, die Förderstruktur müsse umgebaut werden, so dass zum Beispiel mehr Platz für Tiere honoriert werde. Auf Nachfrage, wie genau – und ob er etwa den reduzierten Mehrwertsteuersatz für Fleisch abschaffen möchte – um mehr Geld für geforderte Veränderungen zur Verfügung zu haben, antwortet der Grünen-Politiker lediglich: „Alles zu seiner Zeit.“ Özdemir wies darauf hin, dass er schließlich erst wenige Wochen im Amt sei.

Landwirt Roland: „Das Baurecht ist hierbei eines der größten Hürden für uns.“
Schnitzel aus Schweine-Offenställen: Mit einer Bundesratinitiative will NRW die Genehmigungshürden für den Umbau für Tierwohlställe abbauen © Pressefoto ISN
Schnitzel aus Schweine-Offenställen: Mit einer Bundesratsinitiative will NRW die Genehmigungshürden für den Umbau für Tierwohlställe abbauen © Pressefoto ISN

Ein Lösungsversuch: NRW bringt deshalb einen Gesetzentwurf zur Lösung der Stallbaubremse in den Bundesrat ein, wie die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands e.V. am 20. Januar 2022 verkündete. Das Bundesratsplenum soll sich am 11. Februar 2022 mit dem Gesetzentwurf befassen.

Genehmigungshürden abbauen

Die NRW-Umwelt- und Landwirtschaftsministerin Diplomvolkswirtin Ursula Heinen-Esser (56, CDU, wohnt am Kölner Stadtwald) erklärt dazu: „Mit der nordrhein-westfälischen Bundesratsinitiative legen wir in behördlicher Hinsicht das Fundament, damit anpassungswillige Landwirte die dazu notwendigen behördlichen Genehmigungen erhalten können. Das langwierige Genehmigungsverfahren bei unserem Projekt Stall der Zukunft hat deutlich gemacht, wo Probleme liegen.“

Schweinefleisch werde teurer werden müssen, so Özdemir

Grundsätzlich möchte Bundeswirtschaftsminister Cem Özdemir dafür sorgen, dass mehr Geld bei den Landwirten landet. „Der Handel verdient sehr stark“, so Özdemir. Wie er das genau erreichen will, ließ er allerdings offen. Gleichzeitig fordert der neue Minister, die Menschen müssten mehr für Fleisch bezahlen. Die Grünen-Fraktion wollte schon 2016 Billig-Fleisch verbieten, wie das Berlin Journal berichtete. Mehr Klimaschutz, mehr Tierwohl und mehr Verdienst für die Bäuerinnen und Bauern, ohne dass es mehr koste, das werde nicht gehen, glaubt Özdemir aktuell.

Um das zu erleichtern, kündigte der neue Bundesminister als ersten konkreten Schritt an, in diesem Jahr eine verbindliche Haltungskennzeichnung auf den Weg zu bringen.

Özdemir: Haltungskennzeichnung zunächst für Handel

Doch die geplante Haltungskennzeichnung soll offenbar zunächst nur im Handel kommen und nicht in der Gastronomie. Erst mal gelte das für das, was im Laden zu kaufen ist, für frisches und verarbeitetes Fleisch, so Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir.

Der Haken bei der Haltungskennzeichnung – die Bauern haben nichts davon

Der Preis, den die Bauern bekommen, ob Billig-Schnitzel oder Teuer-Schnitzel, wird im Augenblick vom Gewicht bestimmt – nicht von der Haltungsform.

Landwirt Roland schrieb am 16. Januar 2022 in einem Kommentar zur Panorama-Sendung: „Eine Frage stelle ich mir dennoch seit langem. Wo kommt die Information über die Haltungsform auf den Etiketten her? Vom Landwirt kommt diese nicht! Dort wird sie nicht abgefragt.“

Landwirt Roland stellt klar: „Der Preis für die Ware ist von Gewichtsklassen des angelieferten Tieres abhängig. Es gibt keine Kategorisierung/ Bezahlung nach Haltungsform für den Bauern.“

Das heißt: Vom Ende des Billig-Schnitzels profitiert nur ALDI – nicht der Bauer

Der Bauer bekommt nach jetziger Praxis gleiches Geld trotz besserer Haltung. Und ALDI kassiert mehr Geld für das Schnitzel aus höherer Haltungsform.

Bauern mit natürlich fetten freilaufenden Schweinen werden im Preis sogar bestraft
Bertram von Steuben schreibt in einem Kommentar in einem Facebook-Auftritt von Berlin Journal am 21. Januar 2022: „Einen Schritt schlimmer ist es: Das Schwein wird nicht nur nach Gewicht bezahlt, sondern auch nach Anteil des Mager-Fleischs… Wächst das Schwein relativ natürlich auf, ist der Fett-Anteil erheblich höher – und bringt dem Mäster weniger Geld. Angeblich wolle der Kunde das so – die gesetzliche Grundlage dafür stammt jedoch von der Bundesregierung …“

Die ISN Interessengemeinschaft der Schweinhalter Deutschlands e.V. mahnt: „In der Schweinehaltung kracht es gerade gewaltig, und es muss was passieren! Unser Appell an die Politik: Alle Pläne für die Zukunft nützen nur, wenn es morgen noch schweinehaltende Betriebe in Deutschland geben wird, die den gesellschaftlich gewollten Wandel in der Schweinehaltung auch umsetzen.“

Die ISN weiter: „Die Transformation der Schweinehaltung ist keine leichte Aufgabe und setzt vor allem politischen Rückhalt voraus. Hier darf die Politik den Schweinehaltern keine Steine in den Weg legen! Enorm wichtig sind jetzt kurzfristig die Überbrückungshilfen, um möglichst viele Schweinehalter kurzfristig in der Krise vor dem Aus zu retten und das betriebliche Überleben zu sichern.“

Wie viel sollte Fleisch eigentlich kosten?

Quarks und Co. hat im Juli 2020 bereits einen Artikel darüber veröffentlicht, wie teuer Fleisch eigentlich sein müsste, wenn es für alle Beteiligten (außer für die Tiere) rentabel sein soll. Tatsächlich liegen die errechneten Kilopreise der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft weit über dem Preis, den wir derzeit für ein Stück Fleisch im Discounter zahlen.

Bei der Berechnung des Fleischpreises wurden die verschiedenen Stufen des Tierwohllabels (von 1-3) in Betracht gezogen. Bei Stufe 1 haben Tiere 0,9 Quadratmeter Platz, bei Stufe 2 1,1 Quadratmeter und bei Stufe 3 1,5 Quadratmeter. Der gesetzliche Mindestabstand für ein Tier im Stall beträgt 0,75 Quadratmeter. Die angegebenen Preise sind keine Bio-Preise.

  • Bei konventioneller Tierhaltung müsste ein Kilo 15 Euro kosten
  • Stufe 1: Ein Kilo Schweinefleisch müsste 16,65 € kosten
  • Stufe 2: Ein Kilo Schweinefleisch müsste 19,35 € kosten
  • Stufe 3: Ein Kilo Schweinefleisch müsste 20,55 € kosten
So sieht es bei Aldi aus

Bei Aldi gibt es beispielsweise 500 Gramm Schweinefilets für 3,99 Euro. Das ist beinahe die Hälfte des Preises, den die Deutsche Landesgesellschaft für konventionelle Haltung ausgerechnet hat. 500 Gramm Schweineschnitzel der Stufe 3 müssten demnach 10,27 € kosten, rechnete die FUNKE Mediengruppe aus Berlin vor. (FM)