Auf der Berliner Stadtautobahn braucht man besonders dicke Nerven. Doch auch hier hat der selbstfahrende DRIVE PILOT aus Stuttgart den Alltagstest mit Bravour bestanden. Der Fahrer kann beruhigt die Hände vom Lenkrad nehmen und zum Beispiel auf dem Display ein Fernsehprogramm genießen oder auf seinem Handy ein YouTube-Video schauen, eine SMS schreiben oder eine Zeitung lesen, während der neue autonome Mercedes ganz alleine fährt.

Der DRIVE PILOT im neuen autonomen Mercedes zeigt an, dass die Streckenfreigabe in Kürze endet, weil ein langer Tunnel (mehr als 50 Meter) kommt © Pressefoto Mercedes-Benz Group Media

Der DRIVE PILOT zeigt an, dass die Streckenfreigabe in Kürze endet, weil ein langer Tunnel (mehr als 50 Meter) kommt © Pressefoto Mercedes-Benz Group Media

Den Stau zu verschlafen bleibt aber zunächst auch im neuen autonomen Mercedes ein schöner Traum. Infrarotsensoren auf Höhe des Lenkrads prüfen, ob der Fahrer noch wach ist.

Wenn das Auto sagt, dass der Fahrer wieder übernehmen soll, bleiben ihm zehn Sekunden. Sonst leitet der neue autonome Mercedes einen Nothalt ein. Rollt aus, schaltet den Warnblinker an, setzt einen Notruf ab. Der Fahrer könnte ja bewusstlos sein.

ADAC-Autotester Thomas Geiger lobt: „Sobald das Tempo unter 30 fällt, schwenkt die S-Klasse ein wenig zum richtigen Rand und bildet schon mal eine Rettungsgasse. Das ist wichtig, falls plötzlich von hinten die Polizei mit Blaulicht naht. Gerät das System an seine Grenzen – zum Beispiel wenn sich ein Radler auf die Autobahn verirrt haben sollte oder wenn ein Pannenfahrzeug in die Spur hineinragt – ruft die S-Klasse mich mit einer Kaskade von Warnhinweisen zurück ins Hier und Heute. Dann bin ich wieder Herr der Lage – bis die Situation gemeistert ist und mir die Elektronik erneut die Rücknahme anbietet. Eine Arbeitsteilung, mit der ich leben kann.“

Der neue autonome Mercedes: Fahrer kann die Zeit nutzen und entspannen

Im Dezember 2021 hatte Mercedes-Benz als erster Autohersteller der Welt eine Straßenzulassung für seinen neuen autonomen Mercedes erhalten. Zunächst für Deutschland. Und zunächst nur auf Autobahnen bei Tageslicht und bis maximal 60 km/h.

Der DRIVE PILOT hat den neuen autonomen Mercedes übernommen, Nebentätigkeiten sind für den menschlichen Fahrer verfügbar © Pressefoto Mercedes-Benz Group Media

Der DRIVE PILOT hat  übernommen, Nebentätigkeiten sind für den menschlichen Fahrer verfügbar © Pressefoto Mercedes-Benz Group Media

Das Auto wird mit DRIVE PILOT superschlau: Mehr als 400 Fahrmöglichkeiten prüft es ständig. Aber das alles funktioniert nur unter bestimmten Bedingungen: Autobahn, kein Spurwechsel, kein Regen, nicht nachts, nicht unter vier Grad Außentemperatur. Und keine Baustellen, keine Tunnel oder Unterführungen, die länger als 50 Meter sind.

 Nützlich ist das bei hohem Verkehrsaufkommen oder Stausituationen auf geeigneten Autobahnabschnitten.

Mercedes Benz teilte dazu am 6. Mai 2022 in einer Presseerklärung mit: „Für Kunden bedeutet dies ein ultimatives Fahrerlebnis. Sie können entspannen oder arbeiten und so wertvolle Zeit zurückgewinnen.“

ADAC-Tester Thomas Geiger bestätigt: „Natürlich komme ich damit auch nicht schneller durch den Stau. Aber ich kann die Zeit sinnvoller nutzen und bin am Ende auf jeden Fall entspannter und freue mich deshalb über Freizeit und Freiheit bei nervtötenden Fahrten. Gelegenheit dazu gibt es auf den chronisch überlasteten Autobahnen rund um die Metropolen mehr als genug.“

Am 17. Mai 2022 startete hierzulande der Verkauf

Der neue autonome Mercedes vor dem Brandenburger Tor in Berlin © Pressefoto Mercedes-Benz Group Media

Der neue autonome Mercedes vor dem Brandenburger Tor in Berlin © Pressefoto Mercedes-Benz Group Media

Der DRIVE PILOT ist für die S-Klasse und den EQS vorgesehen. In der S-Klasse (Neupreis ab 98.000 Euro) kostet der DRIVE PILOT als Sonderausstattung 5.000 Euro plus Mehrwertsteuer.

Für den EQS (Neupreis 140.000 Euro) ist die Sonderausstattung für 7.430 Euro (Fahrassistenz-Paket Plus: 2.430 Euro und DRIVE PILOT: 5.000 Euro) jeweils exklusive Mehrwertsteuer bestellbar.

Parallel zur erfolgreichen Einführung von DRIVE PILOT in Deutschland will Mercedes-Benz bis Ende des Jahres 2022 die behördliche Serienzulassung für die beiden US-Bundesstaaten Kalifornien und Nevada erhalten.

Der neue autonome Mercedes erreicht das autonome Level 3

Damit stehlen die Schwaben dem US-Konkurrenten Tesla die Show. Der Tesla-Konzern konnte bislang seine Versprechen in Bezug auf selbstfahrende Teslas nicht erfüllen. Seit Jahren bietet Tesla zwar die Option FSD („Full Self Driving“) zahlungswilligen Kunden an. Damit ist aber der Automatisierungsgrad „Level 2“ gemeint, der so genannte „assistierte Modus“. Dabei muss der Fahrer zu jedem Zeitpunkt bereit sein einzugreifen. Als höchste Stufe gilt bisher das noch unerreichte „Level 5“ (Autonomer Modus mit Vollautomatisierung), bei dem sich ein Fahrer theoretisch schlafen legen könnte.

Erst vor kurzem hob der US-Konzern den Preis für ein FSD-System in den USA um weitere 2.000 auf nun 12.000 Dollar (rund 11.176 Euro) an – obwohl die Software in ihrer aktuellsten Fassung nicht über ein Beta-Stadium, also eine nicht fertig gestellte Version, hinaus gekommen ist.

Mercedes ist bereits weiter als Tesla. Die Stuttgarter verkaufen ab 17. Mai 2022 Fahrzeuge serienmäßig ab Werk, die autonom nach „Level 3“, also im so genannten „automatisierten Modus“ fahren. Dabei muss der Fahrer nicht mehr permanent das Fahrzeug überwachen.

Stattdessen wird er bei Bedarf innerhalb einer Vorwarnzeit vom System aufgefordert, das Lenkrad zu übernehmen.

Tesla setzt auf Kameras und Ultraschall, Mercedes zusätzlich auf Lidar-Laserscan
DRIVE PILOT baut auf der Umfeldsensorik des Fahrassistenz-Pakets auf und umfasst zusätzliche Sensoren, die Mercedes-Benz für ein sicheres, hochautomatisiertes Fahren für unverzichtbar hält. Dazu gehören LiDAR, eine Kamera in der Heckscheibe und Mikrofone, insbesondere zum Erkennen von Blaulicht und anderen Sondersignalen von Einsatzfahrzeugen. Außerdem ist ein Nässesensor im Radkasten. Die S-Klasse mit optionalem DRIVE PILOT verfügt zudem über redundante Lenk- und Bremssysteme sowie ein redundantes Bordnetz, um auch beim Ausfall eines dieser Systeme manövrierfähig zu bleiben und eine sichere Übergabe an den Fahrer zu gewährleisten © Pressefoto Mercedes-Benz Group Media

DRIVE PILOT baut auf der Umfeldsensorik des Fahrassistenz-Pakets auf und umfasst zusätzliche Sensoren, die Mercedes-Benz für ein sicheres, hochautomatisiertes Fahren für unverzichtbar hält. Dazu gehören LiDAR, eine Kamera in der Heckscheibe und Mikrofone, insbesondere zum Erkennen von Blaulicht und anderen Sondersignalen von Einsatzfahrzeugen. Außerdem ist ein Nässesensor im Radkasten. Die S-Klasse mit optionalem DRIVE PILOT verfügt zudem über redundante Lenk- und Bremssysteme sowie ein redundantes Bordnetz, um auch beim Ausfall eines dieser Systeme manövrierfähig zu bleiben und eine sichere Übergabe an den Fahrer zu gewährleisten © Pressefoto Mercedes-Benz Group Media

Was unterscheidet die beiden Sicherheitssysteme von Tesla und Mercedes? Tesla setzt in erster Linie auf eine kamerabasierte Bildverarbeitung der Umgebung, um seine Ziele bei autonomem Fahren zu erreichen. Acht Kameras sollen laut Tesla eine 360-Grad-Überwachung der Fahrzeugumgebung mit bis zu 250 Meter Reichweite garantieren. Ergänzt werden sie durch zwölf Ultraschallsensoren. Das reicht bislang jedoch nur für autonomes Fahren Level 2.

Mercedes nutzt auch Kameras, Ultraschall- oder Nässesensoren und Radar. Aber kooperiert zusätzlich mit dem US-Unternehmen Luminar. Luminar ist ein Spezialist für sogenannte Lidar-Technologie, eine Form des dreidimensionalen Laserscannings. Damit können Fahrzeuge ihr Umfeld abtasten, um Abstände und Geschwindigkeiten von anderen Verkehrsteilnehmern zu ermitteln.

Das Lidar-System von Luminar soll bei Autobahn-Geschwindigkeiten rund 250 Meter weit sehen können. Nach Angaben von Luminar soll das System pro Fahrzeug zwischen 500 bis 1.000 Dollar kosten. Damit sinken die Preise deutlich, denn früher kosteten Lidar-Sensoren mehrere Zehntausend US-Dollar.

Die Partnerschaft sei für die Branche wegweisend, meint der Gründer und Chef von Luminar, Austin Russell, laut Mercedes-Group-Pressemitteilung. Die Mercedes-Group (früher Daimler) sicherte sich als Teil der Kooperation auch 1,5 Millionen Aktien von Luminar im Wert von rund 20 Millionen US-Dollar (18,63 Millionen Euro)

In der Branche hat sich weitgehend die Einschätzung durchgesetzt, dass zumindest in nächster Zeit selbstfahrende Autos nicht ohne die Lidar-Technologie auskommen können.

Beim US-Elektroautohersteller Tesla teilt man diese Meinung allerdings nicht. Konzernchef Elon Musk hatte Lidar-Sensoren in der Vergangenheit als „teuer“ und „unnötig“ bezeichnet. Im vergangenen Jahr schaffte das Unternehmen sogar die bis dahin verwendeten einfacheren Radar-Sensoren bei Model 3 und Model Y ersatzlos ab.

Für Systemausfälle haftet der Hersteller
Prof. Dr. Stefan Bratzel, Gründer und Direktor des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach in Nordrhein-Westfalen © Pressefoto CAM

Prof. Dr. Stefan Bratzel, Gründer und Direktor des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach in Nordrhein-Westfalen © Pressefoto CAM

Der Hersteller haftet bei Systemausfall. Die Entwicklung des DRIVE PILOT von Mercedes-Benz sei tatsächlich ein großer Schritt, sagte Automobilexperte Professor Dr. Stefan Bratzel, Gründer und Direktor des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach, am 16. Mai 2022 in den ARD-Tagesthemen: „Das erste Mal ist nicht mehr der Fahrer verantwortlich für das Fahren, sondern der Fahrzeughersteller in dieser spezifischen Fahrsituation. Das ist weltweit neu.“

Der Fahrer haftet, wenn er nicht übernahmebereit war und es zum Unfall kommt. Deshalb wird vom Fahrzeug jeder Moment gespeichert, in dem der Drive Pilot eingeschaltet und wieder deaktiviert wird.

Der Fahrer muss immer „übernahmebereit“ und „wahrnehmungsbereit“ sein. Er darf also nicht schlafen oder auf die Rückbank klettern. Er darf nicht einmal die Sitzlehne zu weit zurückfahren. Und Mercedes ist sehr vorsichtig: Die Handynutzung beim DRIVE-PILOT-Einsatz sei in Deutschland „nicht verboten“. Der Autobauer muntert aber nicht offensiv dazu auf.

AUTO BILD hat den neuen autonomen Mercedes getestet

Das Fazit von Tester Hauke Schrieber lautete am 23. Mai 2022: „Zugegeben: Als ich 2016 Teslas Autopiloten testete, war’s spektakulärer. Aber eher Spielkram. Der DRIVE PILOT von Mercedes ist dagegen ein echter Schritt in Richtung mehr Sicherheit und mehr Komfort. Doch der Weg ist noch weit.“

Sind Robotaxis die Zukunft?

Auch andere Autohersteller wie der vietnamesische Hersteller Vinfast arbeiten an hochautomatisierten Systemen, sind aber noch nicht so weit wie Mercedes. Die Zukunft sieht Experte Professor Stefan Bratzel ohnehin in einem anderen Bereich und schaut auf die mehrspurige Straße vor seinem Institut: „Wir werden hier sehr viel mehr Robotaxis sehen, wo kein Fahrer mehr drinsitzt, sondern nur noch Mitfahrer.“

Professor Bratzel kann sich vorstellen, dass in zehn bis 15 Jahren nur noch autonome Shuttles durch deutsche Innenstädte fahren. Wie das aussehen könnte, zeigt etwa der US-Techkonzern Alphabet in San Francisco. Sein Fahrdienst Waymo funktioniert wie ein klassisches Taxi, nur ohne Fahrer. Das Lenkrad bewegt sich wie von Geisterhand. In der Entwicklung vollautonomer Systeme des Level 4 und 5 sei Amerika deutlich weiter, sagt Bratzel. Aber zugelassen sind diese Systeme noch nicht. Auf diesem Gebiet könnten Technologiekonzerne den klassischen Autobauern ernsthaft Konkurrenz machen.

Bundesrat stimmt für autonomes Fahren Level 4 (ohne Fahrer)

Damit Deutschland die Vorreiterrolle bei Roboterautos einnehmen kann, hat der Bundesrat am 23. Mai 2022 den Betriebs- und Zulassungsregeln der Regierung zugestimmt.

Die „Verordnung zur Regelung des Betriebs von Kraftfahrzeugen mit automatisierter und autonomer Fahrfunktion“ bezieht sich vor allem auf Autos, die ohne Fahrzeugführer autonom unterwegs sind, also ohne Sicherheitsfahrer an Bord auskommen. Bei diesen sogenannten Level-4-Fahrzeugen handelt es sich in erster Linie um Robotaxis, Shuttle-Busse oder automatisierte Lieferwagen.

Damit sind Zulassung und Regelbetrieb entsprechender Fahrzeuge auf ausgewiesenen Strecken in Deutschland möglich.

Die Fernüberwachung der autonomen Fahrzeuge muss nicht mehr durch einen Ingenieur erfolgen

Gegenüber dem Regierungsentwurf hat die Länderkammer einige Veränderungen vorgenommen, die vor allem die praktische Umsetzung erleichtern sollen. Unter anderem ist nun keine technische Sichtprüfung vor jedem Fahrtantritt mehr vorgesehen; stattdessen reicht ein Check durch den Halter vor Betriebsbeginn. Außerdem ist für die Fernüberwachung der Roboterautos kein ausgebildeter Ingenieur mehr nötig.

Regierung muss konkretisieren

Der Bundesrat verlangt allerdings noch einige Konkretisierungen von der Regierung. So sei etwa noch zu regeln, wie die von der Straßenverkehrsordnung geforderte Sicherung einer Unfallstelle ohne Fahrer in der Praxis funktionieren kann. Unklar sei auch, welche Regelungen greifen, wenn die Aufsichtspersonen alkoholisiert sind oder unter Drogeneinfluss stehen.

Nur in festgelegten Bereichen erlaubt

Erlaubt wird das fahrerlose Fahren nur in jeweils bestimmten, festgelegten Betriebsbereichen, die von dem Fahrzeug nicht verlassen werden dürfen. Die Betreiber müssen sich diese Einsatzgebiete von den Behörden jeweils genehmigen lassen. Dabei kann es sich um bestimmte Innenstadt-Regionen oder einen Universitäts-Campus handeln, aber auch um Autobahnen-Etappen oder spezielle Abschnitte anderer Straßen.

Während des Betriebs müssen die Roboterautos von einer Art Leitwarte – im Entwurf als „Technische Aufsicht“ bezeichnet – überwacht werden, die bei Problemen oder Gefahren eingreift, aber nicht permanent das Geschehen überwacht.

Für private Pkw dürfte Level-4-Technik zunächst keine große Rolle spielen. (FM)