„Null Asylbewerber“: der dänisch sozialdemokratische Stil – „Unser Ziel ist Null Asylbewerber…Wir müssen aufpassen, dass nicht zu viele Menschen in unser Land kommen, sonst kann unser sozialer Zusammenhalt nicht bestehen. Er wird schon jetzt in Frage gestellt.“
Das sagte die Sozialdemokratin Mette Frederiksen (43, im Foto rechts) am 22. Januar 2021 während einer parlamentarischen Anhörung zur dänischen Einwanderungspolitik.

Dänemarks sozialdemokratisches Spitzenduo: Innen- und Wohnungsminister Kaare Dybvad und Regierungschefin Mette Frederiksen © Twitter.com/Innen- und Wohnungsministerium Dänemarks
Frederiksen, die seit Juni 2019 Premierministerin ist, sagte auch, dass „Politiker der Vergangenheit“ „gründlich falsch“ lagen, weil sie nicht darauf bestanden, dass sich Migranten in die dänische Gesellschaft integrieren müssen.
Im Juni 2021 hat Dänemark ein Gesetz verabschiedet, das es erlaubt, Asylsuchende ohne Verfahren in Länder außerhalb der Europäischen Union abzuschieben. Dort sollen sie dann in Asylzentren auf die Bearbeitung ihres Antrags warten.
Der für Migration zuständige Abgeordnete der Regierungspartei, Rasmus Stoklund (37, Sozialdemokrat), sagte dem Radiosender DR, wenn künftig jemand in Dänemark Zuflucht suche, müsse er damit rechnen, in einen Drittstaat gebracht zu werden. „Wir hoffen, dass deshalb die Leute nicht mehr in Dänemark Asyl suchen.“
Kürzlich formulierte auch Dänemarks Einwanderungs-Minister als Ziel: „gar keine Asylbewerber mehr“.
Einwanderungsminister Mattias Tesfaye (40, ebenfalls Sozialdemokrat, gelernter Maurer, Mutter Dänin, Vater Äthiopier) begründete den restriktiven Kurs so: „Wir verwenden so viele Ressourcen auf Menschen, die überhaupt keinen Schutz brauchen. Das ist völlig verrückt“, sagt er. „Und anschließend schieben wir sie ab – wenn wir Glück haben. Denn bis dahin sind sie in einem Ausreisezentrum einquartiert, wo sie uns im Jahr 40.000 Euro pro Person kosten.“

Unterstützt das Ziel Null Asylbewerber – der dänische Innen- und Wohnungsminister Kaare Dybvad wurde am 2. Juni 2021 auf dem Titelblatt der Mitgliederzeitschrift der Sozialdemokratischen Partei Dänemarks, „Socialdemokraten“, mit den Worten zitiert: „Wenn wir ein Dänemark wollen, das zusammenhält, dann muss man in allen Teilen Dänemarks leben können.“ © Titelblatt Socialdemokraten 2. Juni 2021
Seit Januar 2021 hat Dänemark einen neuen Innenminister. Kaare Dybvad, 36, hat das Amt zusätzlich zu seinem Job als Wohnungsminister übernommen. Auch Dybvad ist Sozialdemokrat.
Als ersten Schritt zum Ziel „Null Asylbewerber“ will die sozialdemokratische Regierung den Migrantenanteil in Stadtvierteln auf 30 Prozent senken.
Der Anteil von Bewohnern „nicht-westlicher“ Herkunft solle künftig in jedem Stadtviertel auf höchstens 30 Prozent begrenzt werden.
Dazu wurde ein vor drei Jahren von der damaligen konservativen Regierung auf den Weg gebrachtes sogenanntes „Ghetto-Gesetz“ im Frühjahr 2021 zwar in „Parallelgesellschaftsgesetz“ umbenannt, aber noch verschärft. Das Ghetto-Gesetz der Konservativen sah nur eine Reduzierung des Zuwanderer-Anteils auf lediglich 50 Prozent in allen Wohngegenden Dänemarks vor.
Als erste Maßnahme zum Ziel „Null Asylbewerber“ kommt die Abrissbirne.
In Gellerup, einem Vorort von Dänemarks zweitgrößter Stadt Aarhus mit vielen Migranten, will Dänemarks Regierung nun fast 1.000 Wohnungen abreißen – und stattdessen Besserverdienende ansiedeln. 350 Sozialwohnungen sind in Gellerup bislang abgerissen worden, 600 sollen folgen.
Damit will die Kommune unter anderem Platz für neue Eigentumswohnungen schaffen. Auf den Wartelisten für neue oder sanierte Mietwohnungen werden beispielsweise Gutverdienende bevorzugt. So soll die Zusammensetzung der Bewohnerschaft verändert werden.
In keinem anderen Land geht die Sozialdemokratie so vor.
Der dänische Sozialdemokrat Dybvad begründete seinen Amtsstil gegenüber der deutschen Wochenzeitung DIE ZEIT diese Woche mit einem hehren sozialdemokratischen Ziel: Damit schütze seine Partei die Arbeiter.
Dybvad erläuterte: „Die arbeitende Mittelschicht trägt die Kosten der Integration. Deren Vertreter sind es, die zusammen mit den Flüchtlingen in den Betrieben arbeiten, die mit ihnen um Jobs konkurrieren. Auf sie wirken sich die sinkenden Löhne aus – und sie leben neben den Migranten in heruntergekommenen Wohnvierteln. Nirgendwo in Europa zahlen die Reichen die Kosten, die durch Einwanderung verursacht werden. Darum geht es doch.“
Kritik an der Null Asylbewerber-Politik kommt vom US-Außenminister, von Nichtprofitorganisationen NGOs und vom UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR.
Dybvad sagte dazu: „Wir nehmen diese Kritik sehr ernst. Aber das europäische Asylsystem ist kaputt. Es kommen zwar derzeit relativ wenige Menschen nach Europa – doch das liegt auch am EU-Türkei-Abkommen. Und das finden die NGOs, die Sie ansprechen, auch nicht gerade gut. Das Asylsystem leistet einfach nicht mehr das, was wir uns von ihm nach dem Zweiten Weltkrieg versprochen haben. Die Menschen beantragen nicht Asyl im ersten Land, das sie betreten, sondern reisen zuerst durch sieben oder acht andere Staaten. Und es kommen nicht unbedingt die, die besonders schutzbedürftig wären. In Asien und Afrika leben Millionen Menschen unter furchtbaren Bedingungen. Es ist nicht fair, dass wir uns in Europa nur auf die konzentrieren, die es hierher geschafft haben.“
Das deutsche Leser-Echo zur Null Asylbewerber-Politik der dänischen Sozialdemokratie in der Zeitung DIE ZEIT ist geteilt.
Ein Julian16 meinte: „Was der dänische Innenminister in dem Gespräch äußert, ist leider weder sozial noch demokratisch, sondern könnte in jedem Punkt 1:1 auch von rechtspopulistischen und rechtsextremen Politiker*innen so gesagt werden.“
Ein Kommentator namens Anschelm sieht den sozialdemokratischen Stil der Dänen eher als Ausweg für die deutschen Sozialdemokraten: „Ich gehe davon aus, dass früher oder später auch die deutschen Sozialdemokraten ihren nordländischen Parteifreunden folgen werden, da keine Partei gern in die absolute Bedeutungslosigkeit fallen möchte. Denn auch einem Großteil der Arbeiter*innen und ehemaligen SPD-Wählenden in Deutschland scheint eine resolutere Asyl- und Migrationspolitik weitaus wichtiger als die aktuellen SPD-Debatten über Diversität und Identitätspolitik. Aber dazu bedarf es sicherlich auch erst noch eines weiteren Wechselns der Partei-Spitze…“ (FM)