Saudi-Arabien spielte bei den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September 2001 eine dubiose Rolle.

Die Freiheitsstatue und die beiden brennenden Türme nach dem Einschlag der zwei entführten Flugzeuge in die beiden Türme des World Trade Centers in New York am 11. September 2001 durch Al-Kaida-Selbstmordattentäter, die aus Saudi-Arabien Unterstützung erhalten haben sollen © Wikimedia Commons
Das beweisen erste, bislang geheim gehaltene FBI-Dokumente aus dem Jahr 2016, die der demokratische US-Präsident Joe Biden unter dem Druck der Überlebenden und Hinterbliebenen nun 20 Jahre nach den Anschlägen am Abend nach der diesjährigen Trauerfeier am 11. September 2021 veröffentlichen ließ. Titel: „Encore Investigation Update“.

Spannungen zwischen US-Präsidenten Joe Biden (links, bei der Trauerfeier zum 20. Jahrestag von 09/11) und dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman al-Saud © Twitter Whitehouse Joe Biden und Wikipedia Whitehouse Gemeinfrei
Darin gibt es zwei Ergebnisse zu Saudi-Arabien
Erstens entlastet der 16seitige FBI-Bericht die Regierung in Riad, die derzeit von Kronprinz Mohammed bin Salman al-Saud geführt wird. Das FBI fand keinen Beweis, dass die saudische Regierung die Anschläge plante oder zuvor darüber informiert war, obwohl 15 der 19 Attentäter saudische Staatsbürger waren.
Und auch der 2011 in Pakistan von einer US-Einheit getötete Osama bin Laden, der Gründer der Terrororganisation Al-Kaida, der als Kopf der Anschläge vom 11. September 2001 galt, kam aus Saudi-Arabien.
Zweitens jedoch belastet der FBI-Bericht sehr wohl hochrangige saudische Beamte und sogenannte saudische Wohltätigkeits-Organisationen, die mit Al-Kaida sympathisiert und die Attentäter mit Geld versorgt und logistisch unterstützt haben sollen. Ein Beispiel.
Mitarbeiter aus saudi-arabischem Konsulat sollen Flugzeugentführer unterstützt haben
Das Geheimdienst-Memo ist auf den 4. April 2016 datiert und basiert auf Gesprächen mit einer ungenannten Quelle in den Jahren 2009 und 2015. In dem Dokument geht es unter anderem um den zur Zeit der Anschläge offiziell als Student in den USA lebenden Omar al-Bajumi, der in Wahrheit einen „sehr hohen Rang“ im saudi-arabischen Konsulat in Kalifornien gehabt haben soll. Al-Bajumi soll die beiden späteren Flugzeug-Entführer Nawaf al-Hasmi und Chalid al-Mihdhar nach ihrer Ankunft in Kalifornien im Jahr 2000 unterstützt haben. Laut Memo half er ihnen mit „Übersetzung, Reisen, Unterkunft und Finanzierung“.
Damit bestätigt der FBI-Bericht auch den Abschlussbericht der offiziellen 9/11-Kommission vom 22. Juli 2004, welche Ende 2002 vom US-Kongress ins Leben gerufen wurde.
Darin hieß es: „Al-Qaida fand fruchtbaren Boden für die Beschaffung von Geld in Saudi-Arabien, wo extreme religiöse Auffassungen verbreitet sind.“
Zivilklagen gegen Saudi-Arabien
Trotz der Androhung des Königshauses in Riad, man werde US-Anleihen in Höhe von 750 Milliarden US-Dollar zurückgeben, hob ein US-Gericht im Jahr 2018 die diplomatische Immunität von Saudi-Arabien in den USA auf.
Unter Führung des New Yorker Rechtsanwalts James Kreindler verklagen nun Tausende Überlebende und Hinterbliebene das Königshaus in Saudi Arabien auf Regress.
Die Angehörigen von rund 2.500 der 2.977 Getöteten und mehr als 20.000 Verletzten sowie etliche Unternehmen und Versicherer haben Saudi-Arabien auf mehrere Milliarden Dollar verklagt.
Hohe Erwartungen von Angehörigen an Aufklärung
In einer Stellungnahme im Namen der Organisation 9/11 Families United erklärte Terry Strada, deren Ehemann Tom als Feuerwehrmann bei den Anschlägen in New York getötet wurde, das vom FBI veröffentlichte Dokument beseitige alle Zweifel an einer saudi-arabischen Mittäterschaft. „Jetzt sind die Geheimnisse der Saudis aufgedeckt, und es ist längst an der Zeit, dass das Königreich sich der Rolle seiner Beamten bei der Ermordung Tausender auf amerikanischem Boden stellt.“
Warum haben die USA in Folge der Terroranschläge nie mit Saudi-Arabien gebrochen?
US-Diplomat im Ruhestand David Rundell sagt, innerhalb der damaligen George-Bush-Administration hätten einige wenige 2001 überlegt, die Beziehungen einzuschränken. Der Diplomat diente in seiner aktiven Zeit in der US-Botschaft in Riad, aber auch den Konsulaten in Dschiddah und Dhahran.
Einige Leute in Washington seien damals verärgert gewesen und hätten gefordert, Saudis kein Visum mehr für die USA zu erteilen, die Botschaften oder Konsulate zu schließen, nicht länger saudische Offiziere auszubilden und den Saudis keine Waffen mehr zu verkaufen.
Am Ende setzten sich aber die Stimmen in der Administration durch, erklärt Rundell, die das Verhältnis zu Saudi-Arabien für unverzichtbar hielten.
Auch eine Folge von 1979
Um die Entscheidung zu erklären, müsse man bis ins Jahr 1979 zurückgehen, sagt Paul Salem vom Institut für den Nahen und Mittleren Osten, einer Politikberatung in Washington D.C. – das Jahr also, in dem die Sowjetunion in Afghanistan einmarschierte. Saudi-Arabien, Pakistan und die USA begannen, radikale Islamisten im Kampf gegen die Kommunisten zu unterstützen.
Zu der Zeit, erinnert Salem, hätten die Vereinigten Staaten islamistische Extremisten nicht als Gefahr eingeschätzt: „Für sie waren Kommunisten die Gefahr. Sie stellten später fest, dass das eine schreckliche Fehleinschätzung war.“
Nach dem Einmarsch der Sowjetunion 1979 finanzierten die USA lange Zeit islamische Rebellen – eine Hilfe mit weitreichenden Folgen.
Zu enge Verbindungen
Das Königshaus Saudi-Arabien steckte nach Ansicht der Amerikaner noch tiefer drin. Einige US-Diplomaten wie Rundell tendieren aber dazu, Saudi-Arabiens Führung dabei in Schutz zu nehmen.
Es sei nicht so gewesen, dass sie Terroristen bewusst unterstützt hätten. Die saudische Führung habe die Wohltätigkeitsorganisationen der Taliban und anderer fundamentalistischer Gruppen zwar finanziell unterstützt, sie aber sehr nachlässig kontrolliert. Mit der Folge: „Leute konnten machen, was sie wollten, und einige von denen hatten schlechte Dinge vor.“
Washington und Riad im gleichen Boot?
Salem sagt, das erklärte Ziel von Al Kaida und Osama bin Laden sei es gewesen, das Königshaus der Sauds zu stürzen. Al Kaida wollte auch, dass die Amis ihre Truppen aus Saudi-Arabien abziehen. Außerdem bestand ein gutes Verhältnis zwischen der Familie von US-Präsident Bush und dem Hause Saud. Schließlich überwog in Washington 2001 der Eindruck, man befinde sich mit der Führung in Riad im gleichen Boot.
Aber es gibt noch mehr Gründe, warum die Amerikaner ein Bruch der Beziehungen nie ernsthaft in Erwägung gezogen haben: die eigenen Interessen. Salem verweist darauf, dass die bilateralen Beziehungen zwischen beiden Staaten weit zurückreichen: „Sie gehen zurück auf die 1940er-Jahre und drehten sich erst einmal nur um Erdöl.“
Michael Scott Doran, Nahost-Experte der Princeton University, analysierte nach dem 11. September 2001: „Bei seinem Bemühen, die Demokratie im Mittleren Osten zu fördern, wird Washington wieder einmal feststellen müssen, dass seine engsten arabischen Verbündeten gleichzeitig seine erbittertsten Feinde sind.“
Solange das Erdöl und die Petrodollars sprudelten, drückte man in Washington beide Augen zu, wenn wieder einmal ruchbar wurde, dass irgendwelche saudischen Geldgeber den religiösen Fanatismus weltweit schürten – ob in der islamischen Welt oder in der Diaspora. Der ehemalige CIA-Agent Robert Baer umschrieb diese fatale Entwicklung, schon 2016 in einem Interview mit dem Berliner Diplom-Politologen Ramon Schack wie folgt: „Wir kommen einfach nicht um die Tatsache herum, dass Saudi-Arabien die Koranschulen einrichtet und finanziert, welche diese Terroristen indoktrinieren und inspirieren.“
Die heutigen Gemeinsamkeiten
Heute geht es kaum mehr um Ölimporte für Amerika, sondern um Saudi-Arabiens Möglichkeit, mit seinen großen Fördermengen den Ölpreis weltweit zu beeinflussen. Von strategischem Interesse sind die fünf US-Militärbasen im Land sowie im benachbarten Katar und Bahrain. Und schließlich kaufen die Saudis in den USA Waffen und Rüstung für -zig Milliarden US-Dollar.
Der Islam- und Nahost-Experte Michael Lüders äußerte diesbezüglich: „Wenn man da ins Detail geht, dann wird einem ganz schummrig, weil diese engen Beziehungen teilweise in Grauzonen der Illegalität gehen, da spielt Waffenhandel eine Rolle, da spielen Spionageaktivitäten eine Rolle und sehr fragwürdige geschäftliche Deals, die dann immer weiter gediehen sind, dahingehend, dass führende Schattenbanken in den USA heute zu einem erheblichen Teil mitfinanziert sind oder sogar wesentlich im Mitbesitz saudischer Eigentümer sind.“
Zuletzt hatte der Mord am saudischen Journalisten Jamal Khashoggi im Auftrag oder im Wissen des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman al-Saud jede Hoffnung auf einen Neustart ernüchtert. US-Präsident Joe Biden versprach im Wahlkampf, Saudi-Arabien zum Aussätzigen zu erklären.
Nach seiner Wahl unterschied Biden im Interview mit dem Fernsehsender „ABC“ zwischen Tatbeteiligten und dem Kronprinzen. So klingt dann „Realpolitik“: „Ich habe gegenüber dem König, seinem Vater klar gemacht, dass sich Dinge ändern werden. Wir ziehen alle zur Verantwortung, die an der Tat beteiligt waren. Aber nicht den Kronprinzen, denn mir ist nicht bewusst, dass wir im Fall von Verbündeten je zu einem amtierenden Staatschef gegangen sind und ihn bestraft haben.“
Kampf um ein Gesetz
In einem Videogespräch vom Haus ihrer Tochter in North Carolina aus erklärte Witwe Terry Strada dem ARD-Korrespondenten Torsten Teichmann in Washington die nächsten Schritte. Ein Gesetz soll das US-Justizministerium zwingen, weitere bislang unter Verschluss gehaltene Dokumente zur Beteiligung der Saudis zu veröffentlichen.
Und sie habe die Hoffnung, dass die Ereignisse von vor 20 Jahren das Verhältnis mit Saudi-Arabien „neu aufsetzen“ würden – nicht zerstören: „Es ist sehr wichtig, offenzulegen, welche Rolle das Königreich bei der Finanzierung von Terrorismus spielt. Heute wichtiger als jemals zuvor mit Blick auf die Ereignisse in Afghanistan.“
Denn anders als Experten in Washington glaubt Strada als Hinterbliebene, dass die Unterstützung für Terroristen durch Saudi-Arabien nie aufgehört hat. Die USA hätten ja noch nicht mal geklärt, wie Geld in der Vergangenheit geflossen ist.
Al-Kaida ruft unterdessen in einem neuen Video dazu auf, den Westen zu bekämpfen.
Al-Kaida-Chef Al-Sawahiri meldete sich zu Wort
Al-Kaida hat unterdessen eine neue Videobotschaft ihres Anführers Aiman al-Sawahiri veröffentlicht. In dem am 11. September 2021 über die sozialen Medien verbreiteten Film ruft Al-Sawahiri seine Anhänger dazu auf, die Staaten im Westen und ihre Verbündeten im Nahen Osten zu bekämpfen. Das rund 60 Minuten lange Video zeigt die erste Ansprache des Al-Kaida-Chefs, seitdem es Ende vergangenen Jahres unbestätigte Gerüchte über seinen Tod gegeben hatte.
Al-Sawahiri bezichtigt arabische Staaten des „Verrats“
Die Anschläge vom 11. September seien „eine Verletzung“, wie sie die USA niemals erlebt hätten, sagte Al-Sawahiri. Die Annäherung mehrerer arabischer Staaten an Israel bezeichnet er als „Verrat“. Dabei handele es sich um einen „Kreuzzug“, der von Amerika angeführt werde: „Und Israel ist eines der wichtigsten Werkzeuge dieses Kreuzzuges.“ Die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, der Sudan und Marokko hatten sich im vergangenen Jahr mit Israel geeinigt, ihre diplomatischen Beziehungen zu normalisieren.
Die USA haben auf Al-Sawahiri ein Kopfgeld von 25 Millionen Dollar (rund 21 Millionen Euro) ausgesetzt. Fachleute gingen bisher davon aus, dass er sich im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan versteckt. (FM)