Ukraine-Krieg: „Das Ganze wird mit Putins Tod enden“, ist sich der heute in London lebende einstige russische Oligarch Michail Chordokowski (58) sicher.

Michail Chordokowski (58) am 9. März 2014 auf dem Euromaidan in Kiew – Demo für Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU © Wikipedia.org CCBY3.0
Michail Chordokowski (58) am 9. März 2014 auf dem Euromaidan in Kiew – Demo für Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU © Wikipedia.org CCBY3.0

Gegenüber SPIEGEL-TV sagte er im März 2022: „Ich weiß nicht, wie es passiert, ob jemand aus seiner Umgebung ihn töten wird. Aber wenn er stirbt, wird sich die Situation drastisch ändern. Und das System danach ein anderes sein. Denn das ganze System, das er kreiert hat, ist auf ihn diktatorisch zugeschnitten und steht ausschließlich für ihn.“

Aber warum können ihn nicht mal die reichsten Russen, die Oligarchen, stoppen, von denen viele von der EU, England und den USA sanktioniert worden sind, wie Business Leaders berichtete?

Der Aufstieg der Oligarchen unter Boris Jelzin

Die Oligarchen sind unter Putins Vorgänger Boris Jelzin (geboren 1931 im russischen Dorf Butka, gestorben 2007 in einer Klinik in Moskau) reich und mächtig geworden. Jelzin war von 1991 bis 1999 der erste Präsident Russlands und zudem das erste demokratisch gewählte Staatsoberhaupt in der Geschichte Russlands.

Putin wehrte als sein Schattenmann Korruptionsvorwürfe gegen Jelzin ab, in dem er zum Beispiel den ermittelnden Oberstaatsanwalt mit einem Sexvideo beim Fremdgehen mit 2 Frauen öffentlich kompromittierte und zum Rücktritt zwang. Vom 25. Juli 1998 bis August 1999 war Putin Direktor des Inlandsgeheimdienstes FSB, ab 26. März 1999 außerdem Sekretär des Sicherheitsrates der Russischen Föderation.

Jelzin wollte als Präsiden den Sprung vom Kommunismus zum Kapitalismus schaffen. Also setzte er eine Massenprivatisierung in Gang. Geplant war, dass alle Bürger Eigentum haben sollten und sich wie Kapitalisten verhalten.

Stattdessen rissen einige wenige Oligarchen das gesamte russische Staatseigentum zu Spottpreisen an sich.

Für Putins Präsidentschaft (er wurde von Jelzin als Nachfolger vorgeschlagen und 1999 kommissarisch bis zur Wahl eingesetzt) hatte das verheerende Folgen. Üblicherweise kontrolliert der Präsident eines Landes die Regierung, die Strafverfolgungsbehörden, das Außenministerium. Als Putin an die Macht kam, war jedoch alles in den Händen der Oligarchen. Auf keinen Fall wollte er den Oligarchen sein Land überlassen.

Putin machte Tabula rasa – reinen Tisch

Putin hat die Oligarchen nach seiner Wahl zum Präsidenten Russlands (Amtsantritt 7. Mai 2000) politisch entmachtet. Am 28. Juli 2000 setzte sich Putin mit den Oligarchen zusammen.

Der britische Historiker Mark Galeotti (57, Experte für russische Geheimdienste, er leitet das Zentrum für Europäische Sicherheit am Institut für Internationale Beziehungen in Prag) sagte in der ZDFinfo-Doku „Putins Russland: Gegner im Visier“ im November 2020: „Durch ihren unermesslichen Reichtum beherrschten sie das politische Geschehen. Er machte deutlich, dass von nun an ein anderer Wind wehen würde. Er würde ihnen Freiheit, Macht und Reichtum lassen, aber nur solange sie seine neuen Regeln befolgen würden.“

Putin sagte den Oligarchen vor laufender Kamera: „Sie haben diesen Staat selbst geformt. Sie haben die politischen Fäden gezogen. Die Schuld müssen Sie schon bei sich selbst suchen.“

Michael Fischman, ehemaliger Chefredakteur der russischen Newsweek, erklärte gegenüber ZDFinfo: „Geld bedeutet Macht. Er musste die Superreichen, die die ganze Wirtschaft lenkten, unter Kontrolle bringen.“

Galeotti: „Sie durften sich politisch nicht einmischen. Einige verließen daraufhin das Land.“

An Chordokowski statuierte Putin ein für alle Zeiten abschreckendes Exempel

Michail Chordokowski (heute 58) während eines Empfangs bei Wladimir Putin (heute 69) am 14. März 2002 © Pressefoto Kremlin.ru
Michail Chordokowski (rechts, heute 58) während eines Empfangs bei Wladimir Putin (heute 69) am 14. März 2002 © Pressefoto Kremlin.ru

Galeotti weiter: „Der Reichste von allen war Michail Chordokowski. Er blieb politisch aktiv. Ob aus persönlicher Überzeugung oder aus Selbstüberschätzung sei dahingestellt. Er warf Putin sogar Korruption vor. Sein Fehler war, dass er Putin vor laufender Kamera zur Rede stellte.“

Chordowski war damals ein Öl-Baron an der Spitze des Ölkonzerns Yukos. Den hätte er gern an die New Yorker Börse gebracht. Doch dazu musste das Unternehmen frei von Korruption sein.

Bei einer Zusammenkunft der Oligarchen mit Putin am 19. Februar 2003 sagte Chordowski öffentlich ins Mikrofon: „Experten beziffern die Korruption in Russland auf ungefähr 30 Milliarden Dollar. Das sind 10 bis 12 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.“

Putin ging sofort zum Gegenangriff über: „Wir haben uns kürzlich schon darüber unterhalten. Sie haben für ihr Unternehmen nicht immer Steuern bezahlt. Wie kam es zu diesen Problemen? Ich spiele den Ball einfach zurück.“

Mark Galeotti schätzt dazu ein: „Putin sah in Chordokowski nicht unbedingt eine Bedrohung, sondern eher eine Chance. Würde er ihn zu Fall bringen, wäre bewiesen, dass es niemand mit ihm aufnehmen kann. Damit wäre klar, dass ab sofort nach seinen Regeln gespielt wird.“

Chordokowski wird nach Sibirien ins Arbeitslager geschickt

Am 25. Oktober 2003 hat Putin Chordokowskis Privatjet bei einem Zwischenstopp in Nowosibirsk vom FSB umstellen lassen. Sie stürmten das Flugzeug. Der reichste Mann Russlands wurde verhaftet und in Moskau vor Gericht gestellt.

Journalist Fischman: „Das war ein politischer Schachzug. Eine Machtdemonstration. Die Regierung und Putin höchstpersönlich schalteten auf diese Weise einen der einflussreichsten politischen Kontrahenten aus.“

Der russische Oiltycon Chordokowski wurde zu neun Jahren Haft verurteilt. Er wurde wegen Steuerhinterziehung und Betruges in sechs Fällen für schuldig gesprochen. Kam in ein Arbeitslager in Sibirien an der chinesischen Grenze. Sein Konzern wurde zerschlagen. Der größte Teil ging in staatlichen Besitz. Yukos ist heute insolvent.

Putin sagte dazu im Fernsehkanal Rossija 1: „Was ich von Chordokowski halte? Ich denke, ein Dieb gehört ins Gefängnis.“

Der in London lebende US-Unternehmer mit russischem Vater Bill Browder kommentiert rückblickend: „Was müssen sich die anderen Oligarchen gedacht haben? Plötzlich sitzt ein Mann hinter Gittern, der viel reicher, cleverer und mächtigerer ist als sie. Niemand möchte an seiner Stelle sein. Also suchte jeder einzelne von ihnen das Gespräch mit Putin. Sie fragen, was müssen wir tun, um nicht auch im Knast zu landen? Haltet euch aus der Politik raus, dann wird alles gut. Putin wollte die Oligarchen nicht loswerden. Er wollte selbst der größte Oligarch von allen werden.“

Browders Fonds- und Vermögensverwaltungsgesellschaft Hermitage Capital mit Sitz auf Guernsey war jahrelang einer der größten ausländischen Investoren in Russland. Damals war Browder ein Fürsprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin. 2005 wurde ihm die Einreise nach Russland verwehrt, ab 2004 hatten Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung bei Briefkastenfirmen aus Browders Umfeld stattgefunden, darunter das Unternehmen Saturn Investment. Seit 2005 gilt Browder als scharfer Kritiker des Kremls, der den Sturz von Präsidenten Putin zum Ziel hat. Browder bezeichnete Putin unter anderem als „Soziopath, kaltblütigen Killer“ und als „kriminellen Diktator ohne großen Unterschied zu Hitler, Mussolini oder Gaddafi“.

Kurz vor Weihnachten 2013 wurde Chodorkowski nach seinem Gnadengesuch überraschend begnadigt und freigelassen. Er lebt heute mit seiner Familie in London.

Dort hatte Chodorkowski noch als Multimilliardär 2001 die Open Russia Foundation gegründet. Seit der Freilassung Chodorkowskis erstellt Open Russia Berichte zum Zustand Russlands. Im Weiteren sucht sie Freiwillige zur Mitarbeit und Förderung von freien Wahlen oder unterstützt die Suche nach in der Ukraine gefallenen Russen.

So unverhohlen die Oligarchen protzen, so kleinlaut sind sie, wenn ihr Präsident sie ruft

Zum System Putin gehört es, Oligarchen wie Alisher Usmanow, Roman Abramowitsch oder Oleg Deripaska in die vaterländische Pflicht zu nehmen.

Prof. Dr. Michael Rochlitz vom Fachbereich Wirtschaftswissenschaft an der Universität Bremen, der von 2012 bis 2013 Gastdozent an der Föderalen Universität des Ural in Jekaterinburg und von 2013 bis 2017 Juniorprofessor für politische Ökonomie an der Higher School of Economics in Moskau war, erzählt im SPIEGEL TV: „Putin sitzt da, trägt vor. Und die Oligarchen schreiben mit. Wir sind zwar noch nicht da, aber es bewegt sich ein bisschen in Richtung Nordkorea, wo wir auch den großen Führer haben, der dann in verschiedene Regionen kommt. Und da sind dann die Beamten und Wirtschaftsbosse aus der Region. Und die müssen dann mitschreiben, was der große Führer für Ideen hat. Und so ähnlich ist es fast auch hier. Wenn die dann vortragen, es ist ein bisschen so wie Schuljungen, die Bericht erstatten müssen. Und Putin weist sie auch zurecht. Das wird dann zur besten Sendezeit im Staatsfernsehen gezeigt.“

Chordokowski: „Putin ist kein normaler Staatsmann“

Chordokowski ergänzt: „Ich glaube, es ist ein riesiger Fehler, den die westlichen Staatsmänner lange gemacht haben. Sie dachten, ok, wir haben es hier mit einem normalen Staatsmann zu tun. Na gut, er ist ein bisschen aggressiv, ein bisschen diktatorisch. Aber Putin ist kein normaler Staatsmann. Er ist ein Gangster. Und das Schlimmste für einen Gangster ist, wenn er Schwäche zeigt.“

„Ich will mich reinwaschen“: Gazprom-Manager wechselt die Seiten und kämpft nun für die Ukraine

Der langjährige Vizechef der Gazprombank Igor Wolobujew ist vor kurzem in die Ukraine geflohen. Er will dort gegen die russischen Truppen kämpfen.

Wolobujew kämpft nach eigenen Angaben jetzt in der Territorialverteidigung des Landes gegen die russischen Truppen.

In einem Gespräch mit dem Schriftsteller Sergej Loiko für das russische Portal „The Insider“ erzählte er am 27. April 2022, dass er in Ochtyrka in der ukrainischen Region Sumy geboren sei. Deshalb habe er beschlossen, in die Ukraine zurückzukehren, um sein Heimatland zu verteidigen.

„Ich konnte es nicht ertragen, länger in Russland zu bleiben. Ich bin ein ethnischer Ukrainer und ich konnte nicht tatenlos zusehen, wie Russland mein Mutterland verwüstet. Meine Rückkehr ist ein Akt der Buße. Ich möchte mich von meiner russischen Vergangenheit reinwaschen. Ich werde bis zum Sieg in der Ukraine bleiben“, kündigt Wolobujew an.

Im Gespräch mit „The Insider“ äußert sich Wolobujew auch zum Tod des ehemaligen Vizepräsidenten der Gazprombank, Vladislav Avayev (†51) und seiner Familie.

Unter Berufung auf den Bericht des Untersuchungsausschusses hatten russische Medien berichtet, der Topmanager habe seine Frau und seine Tochter erschossen und Selbstmord begangen. Laut Wolobujew war sein Tod ein Mord, der wie ein Selbstmord aussehen sollte. (FM)