Über Jahrhunderte waren sie im steten Wandel. Deutsche und Russen. Zwischen Freundschaft und Feindschaft, Krieg und Frieden. Die Freundschaft triumphierte zuletzt, bis Putin am 24. Februar 2022 die Ukraine überfiel.

Uralte Ängste der Deutschen vor den Russen werden wach: Ist Wladimir Putin (69, Sankt Petersburger mit Amtswohnsitz in der großfürstlichen Moskauer Residenz Nowo-Ogajowo) der neue Iwan, der Schreckliche? Die Angst der Deutschen vor den Russen reicht bis zu diesem Gründungsvater von Russland zurück.

Deutsche und Russen – Beginn einer Feindschaft: Zar Iwan IV. gegen deutsche Ordens-Vettern

Er hinterlässt bei den Deutschen einen tiefen Eindruck. Iwan, der IV., genannt der Schreckliche (geboren 1539 in Kolomenskoje, Moskau, verstorben 1584 in Moskau). Der erste Großfürst von Moskau, der sich am 16. Januar 1547 zum Zaren des ganzen russischen Reiches krönen ließ.

Seine Eroberungskriege führten ihn auch gegen deutsche Ordens-Vettern im Baltikum. Die wehrten sich gegen Iwans brutale Kriegsführung. Auch mit Flugschriften. Gräuelpropaganda des 16. Jahrhunderts. Sie prägte die Sicht der Deutschen auf die neue Macht nachhaltig.

Die Flugschrift aus dem 16. Jahrhundert zeigt Gräueltaten unter dem russischen Zaren Iwan IV, genannt der Schreckliche
Die Flugschrift aus dem 16. Jahrhundert zeigt Gräueltaten unter dem russischen Zaren Iwan IV, genannt der Schreckliche

Iwan, der Schreckliche, ließ seinen Gegnern das Herz herausschneiden. Russlands aktueller Chef, der ausgebildete Geheimagent Wladimir Putin, setzt da wohl lieber auf Gift wie etwa bei Regimekritiker Rechtsanwalt Alexej Nawalny (45, oppositionelle Fortschrittspartei) aus Moskau, der allerdings in der Berliner Charité gerettet werden konnte.

Der Zar, der sich selbst krönte, dachte sich gern qualvolle Strafen für vermeintliche Gegner aus und sah mit sadistischem Genuss zu, wie diese bei lebendigem Leib gehäutet, gepfählt oder am Spieß gebraten wurden. 1570 ließ er Tausende Bewohner Nowgorods in den Fluss Wolchow treiben, wo seine Häscher in Booten umherfuhren, und alle, die nicht sofort ertranken, mit Äxten totschlugen. Den Adels-Führer Iwan Fjodorow-Tscheljadin bezichtigte er der Verschwörung, ließ ihn in ein Zarengewand kleiden und auf den Thron setzen und schnitt ihm dort das Herz heraus.

In der Schlacht gegen Kasan (1552) machte Iwan IV. die Zivilbevölkerung massenhaft zu Geiseln und zu Leidtragenden. Seine Truppen schnitten alle Versorgungswege ab, ließen die Einwohner hungern und dursten und beschossen mit ihren Kanonen zivile Häuser, bis alles in Trümmern lag.

Praktiken dieser Art sind heute nach geltendem Völkerrecht verboten. Die russische Armee aber ging in der Ukraine exakt nach dem Muster aus dem 16. Jahrhundert vor

Russische Soldaten zerstörten ganze Wohnviertel und schnürten sie von jeglicher Versorgung ab. In Mariupol tranken Menschen zeitweise geschmolzenen Schnee, um nicht zu verdursten.

Parallele von Iwan und Putin: Massenmord an wehrlosen Menschen

Iwan, dem Schrecklichen genügte nicht der bloße militärische Sieg über feindliche Soldaten, er ließ auch Zivilisten massenhaft niedermetzeln – als Warnung an die Überlebenden und als Zeichen eigener Überlegenheit. In Orten, die jetzt in der Ukraine von russischen Truppen nach wochenlanger Besetzung verlassen wurden, sah es genauso aus. Hunderte Leichen wurden gefunden, oft links und rechts der Straßen. Ein Anwohner berichtet in der mehr als beklemmenden Reportage der „New York Times“ über „Butschas Monat des Terrors“, die russischen Truppen hätten auf alles geschossen, „auf Häuser, auf eine Frau auf der Straße, auf Hunde“.

Unbekleidete tote Frauen wurden zum Verbrennen aufeinandergeschichtet, ein ermordeter Bürgermeister wurde in einen Brunnen geworfen – auch der verächtliche Umgang mit Leichen entspricht Praktiken des 16. Jahrhunderts.

Politische Säuberungen in der Ära Iwans, des Schrecklichen: Gemälde von Apollinarij Wasnezow.© Quelle: Wikipedia
Politische Säuberungen in der Ära Iwans, des Schrecklichen: Gemälde von Apollinarij Wasnezow © Quelle: Wikipedia

Russlands erster Zar sicherte seine Macht durch Kriege führen und Angst verbreiten. Die Parallelen zum heutigen System Putin seien unverkennbar, sagte der britische Historiker Mark Galeotti (57) Mitte April 2022 gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland aus Hannover.

Beide sind als Reformer gestartet

Anfangs, betont Galeotti, sei der Schreckliche gar nicht so schrecklich gewesen. Iwan IV. habe Reformen durchgeführt und vieles in Russland moderner gemacht – „darin liegt eine der vielen frappierenden Parallelen zu Putin“. Nach und nach aber sei dann alles ins Monströse abgeglitten.

In seiner Amtszeit hatte er durch Kriege das Territorium Russlands zwar mehr als verdoppelt – vor allem durch die Eroberung Sibiriens – doch hinterließ er bei seinem Tod ein zerrüttetes Land. Schon wenige Jahre später brach in Russland die „Smuta“, die Zeit der Wirren an.

Gut Wetter zwischen Deutschen und Russen noch kurz vor Russlands Ukraine-Überfall
Am 15. Februar 2022, neun Tage vor Kriegsbeginn gegen die Ukraine, hatte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (links) den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau besucht und auf die historische Verbundenheit zwischen den Deutschen und Russen verwiesen © Ausriss aus Pressevideo Kremlin.ru
Am 15. Februar 2022, neun Tage vor Kriegsbeginn gegen die Ukraine, hatte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (links) den russischen Präsidenten Wladimir Putin (rechts) in Moskau besucht und auf die historische Verbundenheit zwischen den Deutschen und Russen verwiesen © Ausriss aus Pressevideo Kremlin.ru

Noch am 15. Februar 2022, neun Tage vor Kriegsbeginn Russlands gegen die Ukraine, hat der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (63, SPD, Osnabrücker mit Mietwohnung in Potsdam)  Kreml-Chef Wladimir Putin in Moskau besucht.

Putin sagte nach dem Gespräch mit Scholz am 15. Februar 2022 auf der Pressekonferenz: „Wir wollen keinen Krieg in Europa.“

Das sei der Grund dafür, warum sein Land Sicherheitsgarantien des Westens fordere. Bislang gebe es aber noch keine zufriedenstellende Antwort auf die Forderungen seines Landes. Die aktuelle Entwicklung in der Ost-Ukraine komme einem „Völkermord“ gleich, so Putin.

Kanzler Scholz: Deutsche und Russen – „historisch und kulturell eng miteinander verflochten“

Scholz begrüßte damals Berichte über einen ersten Truppenabzug.

Scholz hob hervor: „Unsere beiden Länder sind historisch und kulturell eng miteinander verflochten.“

Es gebe vielfältige Beziehungen und auch großes Potenzial für die Wirtschaftsbeziehungen. Westliche Anleger gaben Putin auch nach der Krim-Annexion 2014 gern Geld, wodurch Putin das Embargo der USA umgehen konnte, wie das Berlin Journal berichtete.

Im Hintergrund steht die große Versöhnung der Deutschen und Russen am 9. Mai 2005

Am 9. Mai 2005, zum 60. Jahrestag des Sieges über Hitlerdeutschland, hatte  Russlands Präsident Wladimir Putin zum ersten Mal einen deutschen Kanzler nach Moskau eingeladen: Gerhard Schröder (SPD).

Putin pries damals auf dem Roten Platz das neue Verhältnis zwischen Deutschen und Russen mit den Worten: „Ein leuchtendes Beispiel für diese Politik ist die historische Versöhnung zwischen Russland und Deutschland. Ich halte das für eine der kostbarsten Errungenschaften im Nachkriegseuropa.

Eine historische Stunde. Die einstigen Gegner aus Weltkriegen und Kalten Kriegen einträchtig versammelt.

17 Jahre später zerstört Putin diese neue und zugleich alte Freundschaft

Seit Putin am 24. Februar 2022 den Überfall auf die Ukraine befahl, herrscht wieder Eiszeit.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (41, Bündnis 90/Die Grünen, Hannoveranerin mit Wohnhaus in Potsdam)  sagte an diesem Tag: „Wir sind heute in einer anderen Welt aufgewacht.“

Bundeskanzler Olaf Scholz, der kurz zuvor noch die russische Ostsee-Gaspipeline Nordstream 2 beim Genehmigungsverfahren aus der Politik als rein wirtschaftliches Unterfangen heraushielt, wie Business Leaders berichtete, sagte nun nach dem Kriegsausbruch im Deutschen Bundestag: „Wir erleben eine Zeitenwende.“

Deutsche und Russen: Uralte Freundschaft, die Zar Peter I. besiegelte
Porträt des russischen Zaren Peter I. des Großen von Godfrey Kneller (1698). Dieses Porträt war ein Geschenk Peters an den englischen König Wilhelm III. Es wurde 1698 gemalt, als Peter der Große zwischen dem 11. Januar und dem 21. April zu Besuch bei Wilhelm III. in London war. Dies war Teil seiner berühmten "Großen Botschaft" von 1697-8, einer diplomatischen Mission, die sich in eine Erkundungsreise durch die fortschrittlicheren Länder Westeuropas verwandelte. Der Zar interessierte sich besonders für den Schiffbau der Holländer und Engländer und hatte 1695 mit dem Aufbau einer russischen Marine begonnen. Wikipedia.org / Royal Collection of the United Kingdom
Porträt des russischen Zaren Peter I. des Großen von Godfrey Kneller (1698). Dieses Porträt war ein Geschenk Peters an den englischen König Wilhelm III. Es wurde 1698 gemalt, als Peter der Große zwischen dem 11. Januar und dem 21. April zu Besuch bei Wilhelm III. in London war. Dies war Teil seiner berühmten „Großen Botschaft“ von 1697-8, einer diplomatischen Mission, die sich in eine Erkundungsreise durch die fortschrittlicheren Länder Westeuropas verwandelte. Der Zar interessierte sich besonders für den Schiffbau der Holländer und Engländer und hatte 1695 mit dem Aufbau einer russischen Marine begonnen © Wikipedia.org / Royal Collection of the United Kingdom

Einen besseren Ruf bei den Deutschen genießt der Nachfolger Iwans, des Schrecklichen. Zar Peter I., genannt der Große (geboren 1672 in Moskau, gestorben 1725 in Sankt Petersburg). Nicht nur wegen seiner Körpergröße von über 2 Metern. Als erster russischer Herrscher macht er sich auf eine lange Reise durch Europa. Und besuchte sogar Berlin.

In Berlin zeigte sich Peter I. allerdings begeistert von den preußischen Folter-Werkzeugen

Der Berliner Historiker und Stadtführer Florian Müller-Klug erzählt auf seinem Geschichts-Blog Clio dazu folgende Anekdote:

„1697 besuchte der 25-jährige Zar Peter I., der in die Geschichte seines Landes später als der ‚Große‘ eingehen sollte die preußische Residenzstadt Berlin. Peter I., ein in mancherlei Hinsicht durchaus moderner und westlich orientierter Mann, hatte die weit weniger zivilisiert anmutende Angewohnheit, Rebellen und »Staatsfeinde« höchst persönlich zu foltern und zu köpfen.

Aufgrund dieser Gepflogenheit zeigte der Russenherrscher bei seinem Besuch Berlins ein besonderes Interesse an den Hinrichtungsmethoden der Preußen und erfuhr so von einem Berliner Richter, dass man bei Mördern hierzulande die mechanische Hilfe des Räderns in Anspruch nahm. Eine im übrigen besonders barbarische Hinrichtungsmethode. Diesem ihm unbekannten westlichen Strafvollzugs-Ritual gegenüber zeigte der begeisterte Zar eine solche Neugier, dass er darauf bestand, unbedingt selbst ein Opfer auf solche Weise zum Tode befördern zu wollen. Nun hatte man unglücklicherweise keinen zum Tode verurteilten Verbrecher zur Hand, worauf der hohe Gast sofort erbot, einen Herrn aus seinem eigenen Gefolge zu diesem für ihn lehrreichen Schauspiel zur Verfügung zu stellen. Es bedurfte wohl einiger Überzeugungskünste, den jungen Herrscher von seinem Vorhaben abzubringen.

Bei der großen Galatafel am Abend im Stadtschloss ließ ein Lakai eine Platte fallen. Peter I. bestand nun darauf, dass der ungeschickte ‚Sklave‘ sofort ausgepeitscht werden müsse, wie es sich für solche Fälle gehöre. Um den ehrwürdigen Gast keine neuerliche Enttäuschung bereiten zu müssen, beeilte man sich, aus dem Gefängnis schleunigst einen Dieb herbeizuschaffen, der in die Livree des Dieners gesteckt und dann vor den Augen des befriedigten Gastes gestäubt (mit Ruten ausgepeitscht) wurde, wobei dieser wieder eigene Anteilnahme an der Beschaffenheit der Ruten und den von ihnen hervorgebrachten Wirkungen zeigte.“

Zar Peter I. öffnete Russland das Tor zum Westen

Er gründete an der Ostsee eine neue Hauptstadt. Sankt Petersburg, da wo auch Putin herkommt. Hierher holt Peter deutsche Gelehrte, Kaufleute und Handwerker.

Der Beginn einer Tradition, die bis vor kurzem anhielt

Deutschland hat die Technologie und Güter, die es in Russland so nicht gibt. Damit ist nicht nur das Radeberger Pils gemeint, wovon Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel (67, CDU, Hamburgerin mit Mietwohnung in Berlin Mitte) ihm regelmäßig ein paar Flaschen nach Moskau schickte. Sondern zum Beispiel der deutsche Chemiekonzern BASF in Ludwigshafen in der Pfalz, der die Technik für die Gasförderung in Russland lieferte und im Gegenzug von billigem Erdgas aus Russland profitierte.

In der Vergangenheit importierte Russland selbst seine Herrscher aus deutschen Landen

Am 3. Oktober 1772 wurde Friedericke Auguste von Anhalt-Zerbst als Katharina II. zur Zarin von Russland gekrönt. Ihren Mann, auch ein Deutscher, setzt sie ab. Und herrscht 34 Jahre lang allein. Ihre Nachfahren regieren Russland bis 1917.

Auch Katharina, die später die Große genannt wird rief Deutsche ins Land. Diesmal vor allem Bauern. Sie sollen die Steppengebiete an der Wolga kultivieren. Die Neusiedler gründen eigene Dörfer. Und bewahren ihre Sprache, Religion und Kultur.

Sie blieben nicht die einzigen Deutschen im Land. Deutsche Einwanderer gründeten in den nachfolgenden 150 Jahren viele Siedlungen. Nicht nur an der Wolga.

Bis 1914 stieg die Zahl der Russland-Deutschen auf 2,4 Millionen. Sie waren die achtstärkste Nationalität im russischen Vielvölkerreich.

Auch sonst pflegte Katharina, die Große intensive Beziehungen zu ihrer alten Heimat. Unter anderem mit dem Bauharren von Schloss Sanssouci in Potsdam, Preußenkönig Friedrich, der Große. Mit ihm und der anderen deutschen Großmacht Österreich handelte Katharina ein gigantisches Eroberungsgeschäft aus. Sein Gegenstand ist das zwischen ihnen liegende Königreich Polen, das durch innere Wirren geschwächt war. In drei Schritten teilen die Großmächte ganz Polen unter sich auf. Deutsche und russische Territorien grenzten jetzt direkt aneinander.

In der Unterdrückung Polen fanden Preußen, dann das deutsche Kaiserreich immer wieder zu gemeinsamen politischen Handeln zusammen, sagte der Osteuropa-Historiker Professor Jans Kusbar in der „ZDFzeit“-Dokumentation „Wir Deutschen und Russland“ von Friedrich Scherer und Stefan Brauburger, die am 24. Mai 2022 ausgestrahlt wurde und laut ZDF-Pressemitteilung vom 19. Mai 2022 für die nächsten 5 Jahre in der ZDF-Mediathek bereitstehen sollte.

„Russland darf nicht gewinnen“, sagt Bundeskanzler Olaf Scholz

„Putin geht davon aus, dass er bei einer Niederlage sein Leben verliert“, zitiert DER SPIEGEL am 19. Mai 2022 den Harvard-Politologen Graham Allison aus den USA.

Der Kremlchef kenne keine Hemmungen und könnte auch Atomwaffen einsetzen. Wie man das Morden in der Ukraine stoppt? Graham Allison: Indem man Putin ein Angebot mache. (FM)