Impfpflicht für alle gegen Corona. Das Parlament in Österreich hat sie am 19. November 2021 als erstes EU-Land beschlossen. Sie soll ab dem 1. Februar 2022 gelten. Wer sich beharrlich weigert, wird bestraft. Wie hart, wird noch geklärt. Von 1.000 Euro ist die Rede.

Österreichs Kanzler Alexander Schallenberg (52, ÖVP) sagte zur Begründung: „Wir müssen der Realität ins Auge schauen.“ Aufgestachelt von „radikalen Impfgegnern“ hätten sich zu wenig Österreicher impfen lassen (nur 64,8 %). Folgen seien „enormes menschliches Leid und überfüllte Intensivstationen“.

Deutschland hat ähnliche Probleme und steht kurz davor, ebenfalls eine Impfpflicht für alle gegen die todbringende Lungenseuche Corona zu beschließen. Entweder wirklich für alle, wie von Bayern-Chef Markus Söder oder Sachsen-Anhalt-Chef Reiner Haseloff befürwortet. Oder wenigstens für bestimmte Berufsgruppen.

Impfpflicht für alle: Vorbild könnte der erste deutsche Kaiser, Kaiser Wilhelm I. (1797-1888) aus dem Hause Hohenzollern, sein

Kaiser Wilhelm I 1891 © Maler Emil Hünten (1827-1902) Auktionshaus Hermann Historica
Kaiser Wilhelm I 1891 © Maler Emil Hünten (1827-1902) Auktionshaus Hermann Historica

Unter Kaiser Wilhelm I. gab es 1874 die erste reichsweite Impfpflicht für Kinder. Vorher sind jedes Jahr 70.000 Kinder an Pocken, der ältesten bekannten Seuche, gestorben. Nachher nicht mehr.

Auch damals gab es Widerstand

Vakzination-Karikatur im Jahr 1880 © gemeinfrei
Vakzination-Karikatur im Jahr 1880 © gemeinfrei

Weil der Impfstoff aus Kuhlymphe gewonnen wurde, gab es 1880 Karikaturen, die davor warnten, dass man durch die Impfung zur Kuh wird.

In Deutschland entwickelten sich danach immer wieder impfskeptische Bewegungen

Der Potsdamer Schauspieler Alexander Schubert (51) erinnerte in einer Rolle als „Alfred Humboldt“ in der heute-show vom 19. November 2021 wie folgt daran: „Eine besonders skurrile Gruppe nannte sich zum Beispiel die Nazis.“

Und weiter: „Im Nazi-Deutschland galt Impfen vielen als jüdische Erfindung. Körperliche Ertüchtigung und gesunde Lebensweise sollten ausreichen, Krankheiten abzuwehren.“ Kommentar von Alexander Schubert: „Eigentlich ein Wunder, dass wir den Krieg verloren haben, bei der vielen Ertüchtigung.“

Beschwerden gegen die Impfpflicht für alle sind in Österreich zwecklos
Verfassungs- und Medizinrechtler Professor Dr. Karl Stöger von der Uni Wien © Joseph Kreplan/Uni Wien
Verfassungs- und Medizinrechtler Professor Dr. Karl Stöger von der Uni Wien © Joseph Kreplan/Uni Wien

Verfassungsrechtliche Bedenken? Können Sie vergessen, sagt Professor Dr. Karl Stöger, einer der führenden Verfassungsrechtler der Uni Wien – im Nebenfach Experte auch für Medizinrecht. Im Gegenteil: So bald jemand andere in Gefahr bringt, weil er sich nicht impfen lassen will, sei eine Impfpflicht verfassungsrechtlich geradezu geboten, sagt der Jurist. Übersetzt heißt das: Geht eigentlich nicht anders. Auch wenn das Wort „Impfpflicht“ bisher auch in Wien politisch tabu war. Verfassungsbeschwerden? Willkommen, aber zwecklos, das ist die Botschaft. Professor Karl Stöger sieht „gute Chancen„, dass eine derartige Pflicht vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) halte.

Diese Deutlichkeit wünscht man sich nicht nur in Österreich.

Markus Söder fordert Impfpflicht für alle
Markus Söder (54), CSU-Parteivorsitzender und Ministerpräsident des Freistaates Bayern © Facebook.com/Markus.Soder.75/photo vom 16. November 2021
Für eine Impfpflicht für alle: Markus Söder (54), CSU-Parteivorsitzender und Ministerpräsident des Freistaates Bayern © Facebook.com/Markus.Soder.75/photo vom 16. November 2021

Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Parteivorsitzende  Markus Söder (54) aus Nürnberg hat sich im Kampf gegen die sich zuspitzende Pandemie vergleichsweise deutlich für eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen. „Ich glaube, dass wir am Ende um eine allgemeine Impfpflicht nicht herumkommen werden“, sagte er am 19. November 2021 im Anschluss an eine Sitzung des Koalitionsausschusses mit dem Koalitionspartner Freie Wähler in München.

„Ich glaube nicht, dass wir ohne das Ganze auskommen werden. Sonst wird das eine Endlosschleife mit diesem Mist Corona“, sagte Söder.

Auch Sachsen-Anhalt-Regierungschef Reiner Haseloff (67, CDU) sagte den „Tagesthemen“ am 18. November 2021, wenn alles nicht reiche, sei „eine Impfpflicht für alle sicherlich diskutierbar“.

Haseloff weiter: „Die Frage ist nur, was sagen Verfassungsrechtler dazu und was sagen auch die einzelnen Koalitionspartner der zukünftigen Bundesregierung dazu.“ Unter den Parteien gäbe es unterschiedliche Ansichten.

Ampel-Parteien gegen eine Impfpflicht für alle
Heiko Maas (55, SPD), geschäftsführender Bundesaußenminister © Twitter.com/HeikoMaas/status
Gegen eine Impfpflicht für alle: Heiko Maas (55, SPD), geschäftsführender Bundesaußenminister © Twitter.com/HeikoMaas/status

Das sieht der geschäftsführende Bundesaußenminister Heiko Maas (55, SPD) aus Saarlouis offensichtlich anders.

„Die wird’s nicht geben“, sagte Maas dem TV-Sender Bild Live. „Weil wir es nicht für notwendig halten, weil wir es auch aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten für schwierig halten.“ Es werde eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen geben, „und das halte ich auch für richtig“.

Unterstützung bekam er von der FDP-Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus (62), Rechtsanwältin aus Strande in Schleswig-Holstein. Sie sagte der BILD-Zeitung: „Die allgemeine Impfpflicht als Drohkulisse in den Raum zu stellen, hilft niemandem. Gerade die Länder mit dramatischen Corona-Zahlen sollten sich darauf konzentrieren, wie vereinbart die Impfangebote auszuweiten und die neuen Corona-Maßnahmen umzusetzen.“

Auch der SPD Gesundheitsexperte Karl Lauterbach (58) aus Düren in NRW ist gegen eine allgemeine Impfpflicht

Lauterbach wies darauf hin, dass eine Impfpflicht erst nach einer gewissen Zeit ihre volle Wirkung entfalte. „Wenn man eine Impfpflicht machen würde, würde das vielleicht im Februar oder März uns hier helfen“, sagte Lauterbach im Deutschlandfunk. In der aktuellen Situation der hohen Corona-Infektionszahlen müssten zunächst die Maßnahmen aus dem Infektionsschutzgesetz umgesetzt und kontrolliert werden, etwa 3G am Arbeitsplatz und in Bussen und Bahnen sowie die 2G- und 2G-plus-Regeln.

Diese würde sich frühestens in zwei bis drei Monaten auswirken, man müsse aber jetzt handeln, sagte er dem Deutschlandfunk.

Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen möglich

Allerdings können sich führende Spitzenpolitiker der SPD und FDP eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen vorstellen. Die werde es geben und das halte er auch für richtig, so Maas. Auch bei der FDP will man einen solchen Schritt unter Umständen nicht mehr ausschließen und zwar für den Fall, dass kein Personalverlust im Pflegebereich droht. Ihre Befürchtung sei gewesen, dass man Pflegekräfte deswegen verliere und sich der Pflegenotstand verschärfte, erklärte der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Marco Buschmann. Wenn diese Befürchtungen aber nicht mehr gelten, gebe es aus seiner Sicht keine fundamentalen Bedenken.

Der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (Stiko), Thomas Mertens, meint, eine Berufs- oder institutionsspezifische Impfpflicht könnte Sinn machen in der derzeitigen Situation.

„Nicht nur auf Pflegeberufe schauen“

Die Präsidentin des deutschen Caritasverbandes, Eva Maria Welskop-Deffaa, hat sich für eine Impfpflicht in sensiblen Bereichen ausgesprochen – vor allem in der Pflege und in Kitas. Man müsse in Sachen Impfung zwar so lange wie möglich auf Freiwilligkeit setzen, jetzt habe sich die Lage aber umgekehrt, sagte sie dem Radiosender SWR2. Dabei dürfe aber nicht nur auf Pflegeberufe geschaut werden. Als weitere Beispiele für eine Impfpflicht nannte sie Berufe, die stark in Kontakt mit Menschen kommen, die aus gutem Grund nicht geimpft seien – also vor allem mit Kindern unter fünf Jahren, für die es auf absehbare Zeit noch keinen Impfstoff gibt.

Impfpflicht für Profifußballer?

Der Bundestagsabgeordnete der CSU Stephan Mayer hat sich zudem für eine Impfpflicht für Fußballprofis ausgesprochen. „Es ist aus meiner Sicht den Zuschauern nicht zu vermitteln, dass für sie und  auf den Tribünen zu Recht die 2-G-Regel  gilt, aber die Spieler auch ungeimpft am Spielbetrieb teilnehmen können“, sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Deshalb halte er eine Impfpflicht für Fußballprofis „für vertretbar und geboten“.

Seit 2019 hat Deutschland bei Masern eine weitreichende Impfpflicht (Kitas, Schulen)

Der Deutsche Bundestag hat am 14. November 2019 das #Masernschutzgesetz beschlossen. Beim Eintritt in Kitas oder Schulen muss künftig ein Masernimpfschutz nachgewiesen werden. Die Stimmen dafür gaben die CDU/CSU, FDP, SPD und einige Linke.  Grüne und weitere Teile der Linke-Fraktion enthielten sich eines Votums, die AfD stimmte dagegen. Die DDR hatte 1970 eine Masernimpfpflicht eingeführt. Eine erste Impfpflicht hatte, wie eingangs erwähnt, 1874 das Kaiserreich im Kampf gegen die Pocken ausgerufen. (FM)