Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat eine neue Regelung zur Bestrafung von Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit für rechtmäßig erklärt. Die Regierungen Polens und Ungarns reagieren empört.

EuGH ist für einen Zusammenhalt der Mitgliedsstaaten

Die Europäische Union (EU) darf künftig Gelder zurückhalten, wenn ein Mitgliedsstaat gegen die Rechtsstaatlichkeit verstößt und damit den EU-Haushalt belastet. Das entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Donnerstag und wies damit die Klagen Ungarns und Polens gegen die entsprechende gesetzliche Regelung ab. Das Europäische Parlament und der Rat seien für den Erlass des „Konditionalitätsmechanismus“ zuständig, der das EU-Rechtsstaatlichkeitsverfahren nicht umgeht, so die Luxemburger Richter: Der neue Mechanismus sieht vor, dass Gelder zurückgehalten werden, wenn ein Mitgliedsstaat gegen die Rechtsstaatlichkeit verstößt. Allerdings reicht nicht jeder Verstoß aus, sondern er muss Auswirkungen auf die Verwendung von EU-Geldern haben. Das hat auch der EuGH am Donnerstag betont.

Der Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit müsse sich „hinreichend unmittelbar auf den Haushalt der Union oder den Schutz ihrer finanziellen Interessen auswirken oder auszuwirken drohen“, heißt es in der Mitteilung des Gerichtshofs. Die Verordnung, auf die sich der Mechanismus stützt, ist daher eine „Haushaltsvorschrift“. Sie fällt in die Zuständigkeit des Parlaments und des Rates. Diese Auffassung vertrat auch der EU-Generalanwalt Manuel Campos Sánchez-Bordona in seinen Schlussanträgen.

Polen und Ungarn argumentierten stets, dass es keine Rechtsgrundlage für die Verordnung gebe. Sie argumentierten auch, dass sie den Rechtsstaatlichkeitsmechanismus in Artikel 7 des EU-Vertrags umgeht. Das dort geregelte Verfahren ist ein politisches Instrument des Rates, der damit auf schwerwiegende Verstöße gegen alle Werte der Union reagieren kann. Der Mechanismus sieht verschiedene Stufen vor – sogar das Stimmrecht kann entzogen werden. Allerdings erfordert Artikel 7 Einstimmigkeit und ist daher seit einiger Zeit nicht mehr anwendbar.

Laut EuGH haben das Rechtsstaatlichkeitsverfahren und der neue Haushaltsmechanismus „klar abgegrenzte“ Themen. Anders als bei Artikel 7 geht es bei der neuen Verordnung nicht um Rechtsstaatsverstöße als solche, sondern um Haushaltsschutz. Auch hier folgte der Gerichtshof den Schlussanträgen des Generalanwalts, der die Unterschiede zwischen den beiden Verfahren – nicht nur im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Rechtsstaatsverletzungen und Haushalt – herausgestellt hatte. Er verwies auch auf ältere EuGH-Entscheidungen. Der Gerichtshof habe mehrfach deutlich gemacht, dass Verstöße gegen die Werte der Union auch ohne Inanspruchnahme von Artikel 7 Folgen haben. Das gegenseitige Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten basiere auf der Achtung der gemeinsamen Werte. Diese Werte seien von den Mitgliedstaaten geschaffen worden und seien ihnen gemeinsam. „Sie sind das eigentliche Wesen der Union als Rechtsgemeinschaft“, heißt es in der Erklärung. Dazu gehören Rechtsstaatlichkeit und Solidarität“, heißt es weiter. Da die Achtung dieser Werte eine Voraussetzung für den Genuss aller Rechte ist, die sich aus der Anwendung der Verträge ergeben, muss die Union in der Lage sein, sie zu verteidigen, heißt es in der Erklärung. Der Haushalt sei „eines der wichtigsten Instrumente“, um dem Grundsatz der Solidarität konkreten Ausdruck zu verleihen, heißt es weiter. Scharfe Reaktionen aus Warschau und Budapest

Ungarn und Polen reagieren unterschiedlich auf das Urteil

Die Regierungen von Ungarn und Polen reagierten mit Empörung auf das Urteil. Die ungarische Justizministerin Judit Varga nannte das EuGH-Urteil eine „politische Entscheidung“ und ein „Beispiel dafür, wie Brüssel seine Macht missbraucht“. Inhaltlich führte Varga die rechtsstaatliche Entscheidung auf die Familienpolitik der Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán und seiner nationalkonservativen Fidesz-Partei zurück. Diese spricht sich unter anderem dagegen aus, Darstellungen von Homosexualität oder Geschlechtsumwandlung Kindern zugänglich zu machen. Varga sagte: „Der Europäische Gerichtshof hat wegen unseres bevorstehenden Referendums zum Kinderschutz eine politische Entscheidung getroffen.“ In Polen äußerte sich der Regierungssprecher Piotr Müller zurückhaltend. Er sprach zwar von einer „gefährlichen Tendenz“, die Befugnisse der EU über die Grenzen der Verträge hinaus auszudehnen, verwies aber auf die Begründung des EuGH-Urteils, die betont, dass die EU-Kommission einen Zusammenhang zwischen rechtsstaatlichen Defiziten und der illegalen Vergabe von EU-Geldern nachweisen muss. Daher könne die Verordnung nicht gegen Polen angewendet werden.

(FW)