In München hat die Staatsanwaltschaft I am 14. Juni 2022 zum ersten Mal in Deutschland drei Wohnungen von einem  russischen Duma-Politiker, dem Staatsduma-Abgeordneten L., und dessen Ehefrau K. sowie das dazugehörige Münchener Mietkonto mit Mieteingängen von monatlich 3.500 Euro beschlagnahmt statt nur eingefroren.

Oberstaatsanwältin Anne Leiding, Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft München I © Pressefoto Bundesjustizministerium/in-ihrem-namen.de

Oberstaatsanwältin Anne Leiding, Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft München I © Pressefoto Bundesjustizministerium/in-ihrem-namen.de

Oberstaatsanwältin Anne Leiding, Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft München I, teilte am 20. Juni 2022 in einer Presseerklärung mit: „Es handelt sich nach derzeitigem Kenntnisstand bundesweit um den ersten Fall, bei dem nicht nur Vermögenswerte aufgrund der Sanktionen ‚eingefroren‘, sondern tatsächlich Immobilien beschlagnahmt wurden.“

Oberstaatsanwältin Leiding erläuterte: „Durch die entsprechenden Eintragungen im Grundbuch am 20.06.22 ist die Beschlagnahme wirksam geworden. Die Mieter dürfen weiter in den Wohnungen verbleiben. Sie dürfen jedoch aufgrund der Pfändung keine Mietzahlungen mehr an die Beschuldigten leisten, die Mieten sind vielmehr beim Amtsgericht München zu hinterlegen.“

Zur gesetzlichen Grundlage teilte Oberstaatsanwältin Leiding mit: „Dies ist auf der Grundlage von §§ 111 b Abs. 1, 111 j Abs. 1 Satz 1 StPO nach Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft München I trotz des bisherigen Fehlens vergleichbarer Vorgänge und Rechtsprechung nach deutschem Recht möglich (entgegen der zum Teil in den Medien vertretenen anderen Meinungen).“

Der Grund für die Beschlagnahme:

Ansprache von Wladimir Putin auf einer Sitzung der Staatsduma der Föderalen Versammlung der Russischen Föderation am 5. Oktober 2016 im Parlamentsgebäude in Moskau © Pressefoto Kremlin.ru

Ansprache von Wladimir Putin auf einer Sitzung der Staatsduma der Föderalen Versammlung der Russischen Föderation am 5. Oktober 2016 im Parlamentsgebäude in Moskau, zu der auch der sanktionierte Duma-Politiker L. gehört © Pressefoto Kremlin.ru

Der russiche Duma-Politiker L. ist wegen seiner Ukraine-Kriegs-Unterstützung von der EU seit dem 23. Februar 2022 sanktioniert worden und steht auf einer öffentlichen EU-Liste: Durchführungsverordnung (EU) 2022/261. Die Ehefrau gilt als „sanktionsbefangen“.

Dennoch sollen der Duma-Politiker und seine Frau laut den Arrestbeschlüssen des Amtsgerichts München vom 14. Juni 2022 auch noch nach der öffentlichen  Sanktionierung vom 23. Februar 2022 weiterhin Mieten in Deutschland kassiert haben.

Ein mutmaßlicher Verstoß gegen das deutsche Außenwirtschaftsgesetz. Laut Paragraph 18 ist der Sanktionsverstoß eine strafbare Handlung, die mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft wird. Die Ehefrau K. ist in München gemeldet.

Oberstaatsanwältin Anne Leiding: „Die Ermittlungen dauern noch an.“

Wie kam der Duma-Politiker L. auf die EU-Sanktionsliste?

Wladimir Putin (2. Von links) auf einer Sitzung der Staatsduma der Föderalen Versammlung der Russischen Föderation am 5. Oktober 2016 im Parlamentsgebäude in Moskau © Pressefoto Kremlin.ru

Wladimir Putin (2. Von links) auf einer Sitzung der Staatsduma der Föderalen Versammlung der Russischen Föderation am 5. Oktober 2016 im Parlamentsgebäude in Moskau © Pressefoto Kremlin.ru

Der Duma-Politiker L. landete am 23. Februar 2022, also einen Tag vor Putins Angriffs-Krieg gegen die Gesamtukraine, mit 335 anderen Staatsduma-Mitgliedern auf die EU-Sanktionsliste, weil er für ein Dekret (eine praktische Kriegserklärung gegen die Ukraine) gestimmt hat, das Russlands Präsident Wladimir Putin (69, Sankt Petersburger mit Amtswohnsitz in der großfürstlichen Moskauer Residenz Nowo-Ogajowo) am 19. Februar 2022 erlassen hatte. Im russischen Parlament gibt es insgesamt 450 Abgeordnete.

Am 21. Februar 2022 hatte der Präsident der Russischen Föderation ein Dekret zur Anerkennung der „Unabhängigkeit und Souveränität“ der nicht von der Regierung kontrollierten Gebiete der ukrainischen Regionen Donezk und Luhansk und zur Anordnung der Entsendung russischer Streitkräfte in diese Gebiete erlassen. Eine klare neue Kriegserklärung an die Ukraine seit der Krimi-Annexion im Jahr 2014.

Ansprache von Wladimir Putin auf einer Sitzung der Staatsduma der Föderalen Versammlung der Russischen Föderation am 5. Oktober 2016 im Parlamentsgebäude in Moskau © Pressefoto Kremlin.ru

Ansprache von Wladimir Putin auf einer Sitzung der Staatsduma der Föderalen Versammlung der Russischen Föderation am 5. Oktober 2016 im Parlamentsgebäude in Moskau © Pressefoto Kremlin.ru

Der EU-Rat verhängte daraufhin am 23. Februar 2022 gegen die 336 dafür stimmenden Duma-Politiker, darunter L., EU-Sanktionen.

Die offizielle Begründung der EU lautet für jeden der Putin-treuen 336 Duma-Mitglieder im gleichen Wortlaut nun wie folgt: Mitglied der Staatsduma, das für die Entschließung Nr. 58243-8 „Zur Aufforderung der Staatsduma der Föderationsversammlung der Russischen Föderation ‚An den Präsidenten der Russischen Föderation W. W. Putin über die Notwendigkeit der Anerkennung der Volksrepublik Donezk und der Volksrepublik Luhansk‘“ gestimmt und somit Handlungen und politische Maßnahmen unterstützt und umgesetzt hat, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben und die Ukraine weiter destabilisieren.

Wie hat die Staatsanwaltschaft München I von den Mieteinnahmen des Duma-Politikers erfahren?

Oberstaatsanwältin Anne Leiding, Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft München I © Pressefoto Bundesjustizministerium/in-ihrem-namen.de

Oberstaatsanwältin Anne Leiding, Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft München I © Pressefoto Bundesjustizministerium/in-ihrem-namen.de

Oberstaatsanwältin Anne Leiding erklärte dazu am 20. Juni 2022: „Mit Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen und für Heimat vom 05.05.22 an das Bayerische Staatsministerium der Justiz wurde bei einer Überprüfung anhand der EU-Sanktionslisten eine Übereinstimmung mit einem russischen Staatsangehörigen im Zusammenhang mit dessen Beteiligung an einer Grundstücksgemeinschaft mit Wohnungen in München und Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung hieraus mitgeteilt.

Das Schreiben wurde über die Generalstaatsanwaltschaft München am 19.05.22 an die Staatsanwaltschaft München I zur weiteren Behandlung weitergeleitet.“

Unterstützung von BKA-Ermittlungsgruppe „Ukraine“

Oberstaatsanwältin Anne Leiding: „Die Staatsanwaltschaft wurde bei der Vorbereitung der Beschlagnahme insbesondere durch die Ermittlungsgruppe ‚Ukraine‘ des Referates SO33 beim Bundeskriminalamt (Ermittlungsreferat Wirtschaftskriminalität, SO steht für Schwere und Organisierte Kriminalität) unterstützt, die bei der Durchsetzung der Sanktionen mitwirkt. Dabei wurde insbesondere die im BKA vorhandene Expertise im Bereich komplexer Geldwäscheermittlungen genutzt, um von den Sanktionen betroffene Vermögenswerte aufzuspüren.“

Leiding weiter: „Die Staatsanwaltschaft München I hat in enger Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt, dem Kommissariat 31 des Polizeipräsidiums München sowie dem Finanzamt München umgehend Ermittlungen wegen des Anfangsverdacht strafbarer Handlungen aufgenommen.  Ab 14.06.22 erfolgte die gleichzeitige Beschlagnahme von drei Immobilien (Privatwohnungen) in München sowie des Bankkontos, auf dem die Mietzahlungen von monatlich insgesamt rund 3.500 Euro eingehen.“

Nach dem Präzedenzfall in München stellt sich nun die Frage, ob auch andere Oligarchen um ihre Villen bangen müssen. Bislang blieben diese zumindest in Deutschland unangetastet.

Sanktionierter Oligarch Usmanow muss um die Tegernsee-Immobilien seiner ebenfalls sanktionierten Schwestern bangen
Wladimir Putin (69) bedankte sich bei dem Gründer der USM Holdings Group, Alischer Usmanow (68) aus Usbekistan, im Kreml in Moskau © Pressefoto Kremlin.ru vom 26. Januar 2017

Wladimir Putin (69) bedankte sich bei dem Gründer der USM Holdings Group, Alischer Usmanow (68) aus Usbekistan, im Kreml in Moskau © Pressefoto Kremlin.ru vom 26. Januar 2017

So werden dem Putinfreund und Multimilliardär Alischer Usmanow in Rottach-Egern am Tegernsee, der ebenfalls auf einer EU-Sanktionsliste steht, wie Business Leaders berichtete, gleich vier große Immobilien in unmittelbarer Uferlage zugeschrieben. Darunter das Anwesen eines SS-Führers, das der Oligarch luxuriös modernisieren und um ein Poolhaus erweitern ließ. Die Website des Architekten erlaubt Einblicke in den Luxus mit Schwimmbecken, Whirlpool und Dampfsauna. Waschbecken und Wasserhähne, die Füße der Badewanne und sogar der Klorollenhalter sind aus Gold.

Auch die USA und Großbritannien setzten Usmanow auf Sanktionslisten. In die EU darf er seither nicht mehr einreisen.

Gegenüber  Merkur tz aus München vom 31. Mai 2022 erklärte die Pressestelle von Usmanow: Mit der Annektierung der Krim durch Putin sah er sich bereits 2014 „antirussischen Sanktionen“ ausgesetzt. Er habe sich „schrittweise“ aus dem Geschäftsleben zurückgezogen und „sein Vermögen zwischen seiner Familie und dem Management seiner Unternehmen“ aufgeteilt.

Da er selbst kinderlos sei, kamen „die Familien seiner Schwestern“ in den Genuss seines Vermögens. Es handelt sich dabei um Gulbakhor Ismailova und Saodat Narzieva, beide stehen aber auch auf der Sanktionsliste.

Immobilien in Rottach-Egern angeblich an Familien der Schwestern übertragen

Im Hinblick auf die Usmanow zugeschrieben Immobilien (Villen, Reihenhaus und Bootshütte) in Rottach-Egern verweist seine Pressestelle darauf, dass diese „mindestens seit dem Jahr 2006 konsequent und unwiderruflich in Trustfonds zu Gunsten der Familien seiner Schwestern übertragen“ wurden.

„Alle Objekte in Rottach-Egern, mit Ausnahme der Immobilie in der Ganghoferstraße, zu welcher weder Herr Usmanov noch seine Angehörigen in irgendeiner Beziehung stehen, wurden von Herrn Usmanov tatsächlich erworben und danach zusammen mit den Nutzungsrechten in die Trusts zu Gunsten seiner Schwestern übergeben. Er mietete diese dann zu marktüblichen Preisen, damit seine Verwandten nicht an Dritte vermieten mussten.“

Allerdings könnte ein anderer rechtlicher Fallstrick Usmanow beziehungsweise seinen sanktionierten Schwestern zum Verhängnis werden

Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft München I teilte der WELT am 20. Juni 2022 mit: „Ein wirtschaftlicher Nutzen könnte auch darin bestehen, dass ein Besitzer seine Immobilie zum Beispiel modernisieren lässt und so ihren Wert steigert.“

Tatsächlich fanden auch noch einige Zeit nach Usmanows Flucht ins Ausland und der Verhängung der Sanktionen Arbeiten an mindestens einer der Villen statt.

Den „lokalen Fachkräften“, die bei seinem Neubau in der Forellenstraße in Rottach-Egern noch auf unbezahlten Rechnungen sitzen, richtete seine Pressestelle aus: „Das Unvermögen, die Kosten für die Dienstleistungen der Unternehmen zu begleichen, hängt wirklich mit den Sanktionen zusammen und werden, sobald es dazu eine Möglichkeit gibt, bezahlt.“ (FM)