Russisches Erdgas fließt seit Donnerstag wieder in reduziertem Umfang durch Nord Stream 1 Pipeline nach Europa. Nach Angaben des Betreibers haben die Regierungen damit Zeit gewonnen, sich von den Exporten des Kremls abzukoppeln, da sie eine zunehmend unzuverlässige Energieversorgung aus Moskau für den Winter erwarten.

Nord Stream 1 läuft wieder

Die Nord Stream-Pipeline, die Russland unter der Ostsee mit Deutschland verbindet, wurde nach der jährlichen Wartung wieder in Betrieb genommen und beendete damit zehn Tage lang angespannte Spekulationen darüber, ob das Regime von Präsident Wladimir Putin als Vergeltung für die westlichen Sanktionen nach seinem Einmarsch in der Ukraine den Gasfluss nach Europa unterbrechen würde. Der Betreiber, die Nord Stream AG, teilte mit, dass die Pipeline in wenigen Stunden wieder in Betrieb genommen werden kann. „Das Gas fließt“, sagte ein Sprecher des Betreibers. Es wird erwartet, dass die Durchflussmenge vor den Wartungsarbeiten bei etwa 40 % der Gesamtkapazität liegt, aber es wird einige Stunden dauern, bis diese Menge erreicht ist. Einer der deutschen Netzbetreiber, die NEL Gastransport GmbH, teilte später am Donnerstag mit, dass diese Gasmenge derzeit durch die Pipeline fließe, was auch von Nord Streams eigenem Online-Überwachungstool bestätigt wurde.

Wartungsarbeiten an einer Pipeline (Symbolbild)

Wartungsarbeiten an einer Pipeline (Symbolbild)

Die Bundesnetzagentur sagte, dass die Gasflüsse am Donnerstag 40 % der Kapazität erreichen könnten. „Leider bleiben die politische Unsicherheit und die 60-prozentige Kürzung von Mitte Juni bestehen“, sagte der Leiter der Regulierungsbehörde, Klaus Müller, auf Twitter. Der Neustart ließ die europäischen Großhandelspreise für Erdgas am Donnerstag um 5 % auf 154,55 Euro pro Megawattstunde sinken. Einschließlich des Rückgangs vom Donnerstag sind die Preise in der vergangenen Woche um 14 % gefallen, haben sich aber in diesem Jahr mehr als verdoppelt und sind mehr als viermal so hoch wie vor 12 Monaten. Die Rallye hat die Strompreise in ganz Europa auf historische Höchststände getrieben. Die breiteren Finanzmärkte zeigten sich am Donnerstag stabil, da die Anleger die Gewinnberichte großer US-Unternehmen und eine erwartete Zinserhöhung durch die Europäische Zentralbank erwarteten.

Die Pipeline arbeitet unter ihrer Kapazität, seit Russland im Juni begann, die Lieferungen zu drosseln und sich dabei auf technische Probleme im Zusammenhang mit den westlichen Sanktionen gegen Russland berief. Anfang dieser Woche erklärte Putin, Russland werde seine vertraglichen Verpflichtungen für Gaslieferungen nach Europa erfüllen. Die Nord Stream-Pipeline ist die Hauptleitung für russisches Gas nach Europa. Putin warnte auch davor, dass die westlichen Sanktionen, die zur Bestrafung Russlands nach der Invasion verhängt wurden, zu weiteren Unterbrechungen führen und das Volumen der Pipeline auf bis zu 20 % reduzieren könnten.

Preise für Energie sind weiterhin hoch

Europäische Beamte und Führungskräfte hatten befürchtet, dass die Pipeline gar nicht oder nur mit noch geringeren Mengen wieder in Betrieb genommen werden könnte. Zwar fließt jetzt wieder Gas, doch wie viel Russland liefert – und wie lange -, wird von den europäischen Hauptstädten genau beobachtet werden, die gerade dabei sind, ihre Reserven für den in wenigen Monaten anstehenden Winter mit höherem Bedarf aufzufüllen. Eine abrupte Unterbrechung hätte Deutschland, Europas größte Volkswirtschaft und industrielles Kraftzentrum, und einige seiner Nachbarländer in eine schwere Rezession gestürzt, so die meisten Wirtschaftsexperten. Doch selbst bei reduzierten Durchflussmengen und der Ungewissheit über die künftige Versorgung könnten die Regierungen gezwungen sein, Energie zu rationieren und die steigenden Kosten für die Haushalte zu subventionieren, sagen Experten und Beamte.

Putin machte in dieser Woche das Fehlen einer Turbine für den Rückgang verantwortlich, die nach einer Reparatur in Kanada aufgrund westlicher Sanktionen aufgehalten wurde und nun auf dem Weg zurück nach Russland ist. Berlin und die meisten westlichen Experten sahen in der Kürzung der Lieferungen einen Versuch, den Westen zu einer Lockerung der Sanktionen zu bewegen und die Gaspreise in die Höhe zu treiben. Mehrere deutsche Beamte und ein Gazprom-Manager in Europa erklärten, Nord Stream verfüge über ein ausgeklügeltes Notfallsystem mit mindestens einer jederzeit verfügbaren Ersatzturbine. Außerdem steht eine neue Pipeline, Nord Stream 2, bereit und wäre Einsatzbereit. Es fehlt nur die Genehmigung zur Inbetriebnahme, aber das ist politisch nicht gewollt. Wie lange wird die Bevölkerung die sturköpfigkeit der Politik noch hinnehmen, wenn es die Bevölkerung ist, die die Rechnung zu zahlen hat?

(FW)