Es geht um nichts Geringeres als Stafvereitelung im Amt. Und wer dafür verantwortlich war. Wird nun auch der oberste Dienstherr Olaf Scholz gejagt?

Eingang der Financial Intelligence Unit beim Zoll in Köln © Gewerkschaft der Polizei
Eingang der Financial Intelligence Unit beim Zoll in Köln © Gewerkschaft der Polizei

Eine mutmaßliche Geldwäsche in Millionenhöhe sei nicht verhindert worden. Obwohl die Zoll-Finanzpolizei FIU (Financial Intelligence Unit) in Köln, die Bundesfinanzminister Olaf Scholz (63) untersteht, rechtzeitig von der Osnabrücker Bank gewarnt worden war.

Doch die Zahlungen nach Afrika in Höhe von 1,7 Millionen Euro wurden nicht aufgehalten, von denen die Bank vermutete, dass der Hintergrund der Zahlungen Waffen- und Drogenhandel sowie Terrorismusfinanzierung gewesen sei.

Der Jäger (links): der Leitende Oberstaatsanwalt Bernard Südbeck aus Osnabrück in Niedersachsen. Der Gejagte (rechts): SPD-Kanzlerkandidat Bundesfinanzminister Olaf Scholz © Presseamt Stadt Osnabrück, Simon Vonstein und Twitter/Bundesfinanzministerium
Der Jäger (links): der Leitende Oberstaatsanwalt Bernard Südbeck aus Osnabrück in Niedersachsen. Der Gejagte (rechts): SPD-Kanzlerkandidat Bundesfinanzminister Olaf Scholz © Presseamt Stadt Osnabrück, Simon Vonstein und Twitter/Bundesfinanzministerium

Die Staatsanwaltschaft: „Die FIU nahm diese Meldung zur Kenntnis, leitete sie aber nicht an deutsche Strafverfolgungsbehörden weiter, so dass keine Möglichkeit mehr bestand, die Zahlungen aufzuhalten.“

Dafür haben die Ermittlungsbehörden laut Gesetz nur 3 Tage Zeit, wie Business Leaders berichtete. Danach kann das Geld ungehindert fließen.

Offenbar kein Einzelfall: Allein 2020 leitete die FIU von 144.000 Verdachtsmeldungen der Banken zu Geldwäsche nur 17 Prozent an Polizei und Staatsanwaltschaft weiter.

Scholz: „Management ausgetauscht“

Olaf Scholz twitterte am 10. September 2021 als Stellungnahme zur FIU unter anderem: „Wir haben das Management ausgetauscht.“

Ist Olaf Scholz damit aus dem Schneider? Wie schon bei CumEx und bei Wirecard, wo der Austausch der Führung der ihm unterstellten Aufsichtsbehörde BaFin ausreichte?

Der Austausch des Managements der FIU geschah bereits zum 1. August 2018. Christof Schulte, der zuvor als Abteilungsleiter für Personal bei der Generalzolldirektion sowie im Finanzministerium tätig war,  löste Andreas Bardong ab, der aber im Geschäftsbereich des Zolls tätig blieb.  Die Arbeit von Schulte rief Anfang 2020 die Staatsanwaltschaft Osnabrück auf den Plan, die die FIU im Sommer 2020 durchsuchte. Bei der Auswertung der beschlagnahmten Unterlagen stieß die Staatsanwaltschaft auf einen Filz, der nun zu einer Razzia in Berlin führte.

Scholz scheint im Fall der FIU, die Gefahr für ihn zu unterschätzen

Er will am Montag, dem 20. September 2021, und am Mittwoch, dem 22. September 2021, jeweils um 10 Uhr nicht mal persönlich im Finanzausschuss des Bundestages in Berlin erscheinen, der die Hintergründe der Razzia in seinem Ministerium in Berlin aufklären will.

Er sei in Süddeutschland unterwegs und könne daher nur per Videokonferenz zur Verfügung stehen, ließ der Bundesfinanzminister den Ausschuss wissen. Doch darauf wollen sich die Parlamentarier nicht einlassen.

Zur Not werde man das persönliche Erscheinen des Bundesfinanzministers erzwingen, indem am Montagmorgen ein entsprechender Beschluss gefasst werde, hieß es von Seiten der FDP, der Linken und der Grünen, die die Ausschusssitzung beantragt hatten. Dann werde der Finanzausschuss seine Sitzung unterbrechen und darauf warten, dass Scholz aus Süddeutschland anreise – und zwar umgehend, wie es heißt.

Die Razzia störte Scholz erheblich

Am 9. September 2021 ließ die CDU-geführte Osnabrücker Staatsanwaltschaft auf der Suche nach den Verantwortlichen für das jahrelange Dauerversagen der Finanzpolizei FIU die beiden SPD-geführten Bundesministerien für Finanzen sowie für  Justiz und Verbraucherschutz in Berlin durchsuchen.

Olaf Scholz gejagt? Die SPD witterte eine CDU-Kampagne gegen ihren Spitzenkandidaten

Denn der Behördenleiter der Staatsanwaltschaft, der Leitende Oberstaatsanwaltschaft Bernard Südbeck, ist ein engagierten CDU-Politiker (langjähriger CDU-Stadtverbandsvorsitzender von Cloppenburg). Die Staatsanwaltschaft Osnabrück ist dem Landesjustizministerium in Hannover unterstellt. Die Chefin dort, Richterin Barbara Havliza (63), ist ebenfalls in der CDU.

Doch die niedersächsische Justizministerin Barbara Havliza sagte der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, sie habe auf das Ermittlungsverfahren „selbstverständlich keinen Einfluss genommen“. Allerdings hatte sie dem Bund im August 2021 Versäumnisse im Kampf gegen Schwarzgeld vorgeworfen. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (62, SPD) will sich zu laufenden Ermittlungen nicht äußern.

Die Fragen „hätte man schriftlich stellen können“

Scholz, von Hause aus Jurist, kritisierte das Vorgehen der CDU-Ermittler (ausgerechnet auch noch aus seiner Geburtsstadt Osnabrück). Die Fragen „hätte man schriftlich stellen können“, sagte der SPD-Politiker nach der Razzia noch am selben Abend auf einer Wahlveranstaltung in Potsdam ins Mikrofon des TV-Senders WELT.

Dem widerspricht das Justizministerium in Niedersachsen.

Beweismittelverlust befürchtet

Im Einzelnen geht es vor allem um einen Briefwechsel zwischen Bundesfinanzministerium und Bundesjustizministerium. Auf eine parlamentarische Anfrage, warum nicht einfach die benötigten Daten ohne Durchsuchung von den Behörden hätten übermittelt werden können, hatte das niedersächsische Justizministerium erklärt:

Die Herausgabe notwendiger Dokumente wäre vom zuständigen Mitarbeiter des Bundesjustizministeriums „ausdrücklich unter Hinweis auf Geheimhaltungserfordernisse und mit dem Verweis auf den ‚ordentlichen Dienstweg'“ verweigert worden. Der ordentliche Dienstweg wäre wohl ein schlichtes schriftliches Ersuchen gewesen.

Die Staatsanwaltschaft habe sich dann beraten und aufgrund „nicht auszuschließender Beweismittelverluste“ entschieden, Durchsuchungen zu veranlassen.

Dagegen protestierte wiederum Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (56, SPD). Nach Darstellung des Bundesjustizministeriums waren der Staatsanwaltschaft Osnabrück die hier gesuchten Unterlagen bereits lange vor der Durchsuchung angeboten worden.

Scholz’s Twitter-Terminator Wolfgang Schmidt twitterte Verbotenes
Olaf Scholz und sein Twitter-Terminator Staatssekretär Wolfgang Schmidt, beide SPD © Twitter/Bundesfinanzministerium
Olaf Scholz gejagt von der Staatsanwaltschaft Osnabrück wie sein Twitter-Terminator Staatssekretär Wolfgang Schmidt (rechts), beide SPD, dessen Verfahren nun an die Staatsanwaltschaft Berlin abgegeben wurde © Twitter/Bundesfinanzministerium

Und Staatssekretär und Twitter-Terminator Wolfgang Schmidt (50, SPD), ein Jurist aus Hamburg, der mit Scholz praktisch beinahe Tür an Tür arbeitet, fing sich dann auch noch ein Strafermittlungsverfahren bei der Berliner Staatsanwaltschaft ein, weil er am 12. September 2021 Auszüge aus dem Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Osnabrück auf Twitter veröffentlicht hat, was verboten ist (Paragraph 353d des Strafgesetzbuches).

Schmidt, der unter Scholz Kanzleramtsminister werden könnte, wollte seinem Chef nur helfen. Der Durchsuchungsbeschluss stellte als Ziel nur lapidar heraus: Die Durchsuchung diene der Identifizierung der beteiligten Mitarbeiter der FIU.

Schmidt und auch Scholz schlussfolgerten daraus, dass nur allein gegen Beamte der FIU ermittelt werden würde und nicht auch Olaf Scholz gejagt werde. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz erklärte, dass die FIU-Razzia nichts mit dem Finanzministerium selbst zu tun habe. Stattdessen sei er stolz auf die Entwicklung der Abteilung, die er von 160 auf 500 Mitarbeiter aufgestockt habe und noch auf 720 Mitarbeiter aufstocken werde und die inzwischen mit digitalen Strukturen ausgerüstet worden sei.

Möglicherweise unterliegen beide einem schweren Irrtum über die Ermittlungen zur Strafvereitelung im Amt

Der Durchsuchungsbeschluss datiert vom 23. August 2021. Ein Urlaub einer Staatsanwältin und der GDL-Lokführerstreik hätten dann zu einer verzögerten Durchsuchung am 9. September 2021 geführt.

Scholz ist nach wie vor im Visier der Ermittler

In der Pressemitteilung vom selben Tag, dem 9. September 2021, die auch bis heute nach dem Tweet von Staatssekretär Schmidt nicht abgeändert wurde, stellt die Staatsanwaltschaft klar, worum es ihr bei der Razzia tatsächlich ging: „Ziel der heutigen Durchsuchungen ist es, den Straftatverdacht und insbesondere individuelle Verantwortlichkeiten weiter aufzuklären.

Es soll unter anderem untersucht werden, ob und gegebenenfalls inwieweit die Leitung sowie Verantwortliche der Ministerien sowie vorgesetzte Dienststellen in Entscheidungen der FIU eingebunden waren.“

Weiter heißt es in der Staatsanwaltschafts-Pressemitteilung: „Die Ermittler gehen auch der Frage nach, weshalb seit Übernahme der Geldwäschekontrolle durch die FIU die Zahl der Verdachtsmeldungen auf einen Bruchteil zurückgegangen ist.“

Die FIU wurde 2017 vom Bundeskriminalamt an den Zoll übergeben. Mit der Amtsübernahme als Bundesfinanzminister im März 2018 wurde Scholz rechtlich deren Chef. Operativ sollte die FIU selbständig arbeiten.

„Entscheidende Sachen gefunden“

Doch es gab regen Schrift- und E-Mail-Verkehr zwischen FIU, Bundesfinanzministerium und Bundesjustizministerium.

Schon seit Februar 2020 ermittelt die Staatsanwaltschaft in Osnabrück gegen Unbekannt wegen „Strafvereitelung im Amt“. Bei der Durchsuchung in Berlin sei es darum gegangen, verantwortliche Personen zu identifizieren, sagte ein Sprecher der Osnabrücker Ermittlungsbehörde dem SPIEGEL: „Wir müssen sehen, ob es im Ministerium jemanden gibt, der wusste, dass die FIU ihre Arbeit nicht schafft.“

Man habe bei der Durchsuchung in Berlin „viele Unterlagen mitgenommen, die jetzt ausgewertet werden“. Schon jetzt sei aber klar: „Wir haben entscheidende Sachen gefunden.“

FDP verteidigt Vorgehen der niedersächsischen Justiz

Auch der FDP-Abgeordnete Florian Toncar sagte der „Rheinischen Post“, es gehe nicht um einen Justizskandal. Die Justiz müsse vielmehr untersuchen, ob es aus dem Ministerium die Vorgabe für die Spezialeinheit FIU gegeben habe, bestimmte Verdachtsmeldungen nicht weiterzuleiten. Toncar führte aus, Scholz habe spätestens nach dem Wirecard-Skandal bei der FIU nicht genug aufgeräumt.

Anti-Geldwäsche-Einheit hielt Wirecard-Meldungen über 180 Millionen Euro unter Verschluss
Christof Schulte, Leiter der FIU in Köln © Bundesministerium der Finanzen / Photothek
Christof Schulte, Leiter der FIU in Köln © Bundesministerium der Finanzen / Photothek

Neue Zahlen zeigen, wie untätig deutsche Behörden im Fall Wirecard waren: Die Financial Intelligence Unit hat hunderte verdächtige Transaktionen nicht weitergegeben.

Christof Schulte, der Leiter der FIU, sagte Anfang Juni 2021 als Zeuge vor dem Wirecard-Untersuchungsausschuss: Rund 30 Geldwäscheverdachtsmeldungen, die von seiner eigenen Behörde „erst im Nachhinein als einschlägig angesehen worden sind“, wurden den Ermittlungsbehörden erst weitergeleitet, nachdem Wirecard im Juni 2020 über einen milliardenschweren Betrugsskandal stolperte.

Die Linken sehen in der Berliner Razzia keine Einmischung in einen Wahlkampf

Der Linken-Politiker Fabio de Masi wies den Vorwurf einer Einmischung in den Wahlkampf, den die SPD erhob, zurück. Er könne sich kaum vorstellen, dass Richter, die solche Durchsuchungen genehmigten, zum Team von Unionskanzlerkandidat Armin Laschet gehörten. Der eigentliche Skandal sei, dass das Geldwäsche-Paradies Deutschland erst jetzt in den Fokus gerate.

Fabio De Masi sagte gegenüber der WirtschaftsWoche, die FIU sei seit vielen Jahren ein Dauerbrenner im Finanzausschuss. Den FIU-Chef Schulte habe er im Frühjahr 2020 zu Versäumnissen und Vorwürfen befragt, die dieser abgestritten habe. Und zwar im Beisein von Vertretern des Finanzministeriums.

De Masi: „Es braucht daher jetzt eine Sondersitzung um aufzuklären, warum ein Richter einen solchen drastischen Schritt wie eine Razzia im Ministerium genehmigt.“ Es müsse eine gerechtfertigtes Misstrauen geben, dass das Bundesfinanzministerium sich mit der FIU „umfangreich zum Behördenchaos ausgetauscht hat und dieses vertuschen wollte“. (FM)