Der Emissionshandel mit CO2-Zertifikaten wird pervertiert. Es stehen sich gegenüber die  HeidelbergCement AG aus der Kurpfalz in Baden-Württemberg und ihr niederländischer Beton-Konkurent New Horizon aus der Gemeinde Geertruidenberg in den Niederlanden.

Sie gehen getrennte Wege in der Betonherstellung. Der eine macht viel Dreck, braucht viele CO2-Zertifikate, wird aber in der Praxis dafür belohnt. Der andere macht weniger Dreck, braucht von vornherein wenige CO2-Zertifikate und wird dafür noch bestraft.

Wir sehen somit einen pervertierten Emissionshandel, der die Dreckschleuderer belohnt und die Umweltverbesserer bestraft.

Die traditionsreiche HeidelbergCement AG © hc-museum.de
Braucht viele CO2-Zertifikate: Die traditionsreiche HeidelbergCement AG © hc-museum.de

Das deutsche Unternehmen ist vergleichsweise eine CO2-Schleuder, müsste theoretisch teure CO2-Zertifkate kaufen, bekommt diese aber geschenkt, weil es als Deutschlands größter Baustoffhersteller Arbeitsplätze sichert.

Michel Baars, Gründer und Direktor von New Horizon aus Geertruidenberg in den Niederlanden: „New Horizon glaubt an die Kreislaufwirtschaft als neues Wirtschaftsmodell.“ © Pressefoto New Horizon
Braucht wenige CO2-Zertifikate: Michel Baars, Gründer und Direktor von New Horizon aus Geertruidenberg in den Niederlanden: „New Horizon glaubt an die Kreislaufwirtschaft als neues Wirtschaftsmodell.“ © Pressefoto New Horizon

Das niederländische Unternehmen dagegen hat von Hause aus den CO2-Ausstoß um 60 Prozent reduziert, weil sein Gründer und Direktor Michel Baar auf Beton-Recycling als neues Wirtschaftsmodell setzt – vom Abriss eines Bauwerks bis zur Trennung in Sand, Kies und Zementreste und Wiederverwertung als Beton -, so dass es viel weniger CO2-Zertifikate braucht.

Das Ergebnis: Der Deutsche fegt den Niederländer mit Billigpreisen (dank geschenkter Zertifikate) regelmäßig vom Markt

Der weltweite viertgrößte Zementhersteller, HeidelbergCement, beschloss im Mai 2021, für 2020 eine Rekord-Dividende von 2,2 Euro pro Aktie auszuzahlen – trotz der Pandemie. Aufsichtsrat und Aktionär Ludwig Merckle aus Ulm kann sich für seinen Anteil von 27,71 Prozent am Unternehmen über eine Ausschüttung von 90 Millionen Euro freuen. Die Merckle-Anteile sind momentan 4,2 Milliarden Euro Wert. Heute gehört er zu den zwanzig reichsten Deutschen.

Wird durch die Gratis-Zertifikate an Umweltsünder mit seinem Beton benachteiligt: Erik Koremans, Direktor von New Horizon © Pressefoto New Horizon
Wird durch die Gratis-Zertifikate an Umweltsünder mit seinem Beton benachteiligt: Erik Koremans, Direktor von New Horizon © Pressefoto New Horizon

„Ich finde das unfair“, sagte Erik Koremans, Direktor bei New Horizon dem ZDF-Magazin frontal21 vom 5. Oktober 2021. „Wer ordentlich CO2 produziert, wird dafür noch belohnt.“

Was ist da schief gelaufen bei der Zementindustrie? Und läuft immer noch schief?

Seit 2005 hat sich der CO2-Ausstoß bis einschließlich 2020 nicht geändert. Er liegt konstant bei rund 20,1 Millionen Tonnen CO2 im Jahr.

Die EU wollte eigentlich gegenlenken und führte 2008 den Emissionshandel mit CO2-Zertifkaten ein. Eine Strafe für jede ausgestoßene Tonne CO2. Derzeit liegt der CO2-Preis in Deutschland bei 25 Euro pro Tonne und soll bis 2026 auf 55 bis 65 Euro steigen.

Doch das scharfe Schwert verpuffte vor allem in der Zement- und Stahlindustrie. Die Industrie drohte mit Jobverlusten und Verlagerung ins Ausland. Die Arbeiter gingen massenhaft auf die Straße und demonstrierten gegen den Emissionshandel.

Die Politik knickte ein und verschenkte die CO2-Zertifikate einfach

Luuk Sengers ist Datenjournalist in den Niederlanden und hat die offizielle Datenbank der Europäischen Kommission ausgewertet.

Sengers: „40 der größten Klimaverschmutzer Europas haben mehr CO2-Zertifikate geschenkt bekommen, als sie brauchten.“

Diese Zertifikate sind bares Geld wert

Der deutsche Zementkonzern HeidelbergCement etwa habe seit 2008 rund 45 Millionen Zertifikate mehr erhalten als benötigt, erklärt Sengers.

Das entspreche – Stand heute – rechnerisch einem Wert von mehr als zwei Milliarden Euro.

Der schwäbische Milliardär Ludwig Merckle (56) aus Ulm hält über seine Spohn Cement Beteiligungen GmbH aus der Gewerbesteueroase Zossen in Brandenburg 27,71 Prozent an dem DAX-Unternehmen HeidelbergCement AG aus Heidelberg in der Kurpfalz und sitzt im Aufsichtsrat © Pressefoto zur Verleihung des Titels Familienunternehmer des Jahres 2017 auf Schloss Bensberg durch die INTES Akademie für Familienunternehmen aus Bonn (PwC-Gruppe)
Der schwäbische Milliardär Ludwig Merckle (56) aus Ulm hält über seine Spohn Cement Beteiligungen GmbH aus der Gewerbesteueroase Zossen in Brandenburg 27,71 Prozent an dem DAX-Unternehmen HeidelbergCement AG aus Heidelberg in der Kurpfalz und sitzt im Aufsichtsrat © Pressefoto zur Verleihung des Titels Familienunternehmer des Jahres 2017 auf Schloss Bensberg durch die INTES Akademie für Familienunternehmen aus Bonn (PwC-Gruppe)

HeidelbergCement wollte das nicht kommentieren. „Aus wettbewerblichen Gründen äußern wir uns nicht zu unseren Handelsaktivitäten“, so das Unternehmen auf Nachfrage des ZDF-Magazins „frontal21“ vom 5. Oktober 2021.

Fest steht: Der CO2-Ausstoß der deutschen Zementindustrie ist nach amtlichen Daten seit Beginn des Emissionshandels gleichgeblieben. Klimaschutz? Fehlanzeige.

50 Milliarden Euro Extragewinne für die europäische Industrie – so lautet die Bilanz von zwölf Jahren Emissionshandel, nach Berechnungen des niederländischen Instituts CE Delft.

Die Industrie nahm die Geschenke aus Brüssel aber nicht nur entgegen, ohne erkennbar den CO2-Ausstoß zu senken.

Sie schlug daraus sogar noch Extraprofit.

Es wird also noch verrückter

Wie niederländische Wissenschaftler untersuchten, haben viele Unternehmen ihren Kunden diese Gratiszertifikate auch noch obendrein in Rechnung gestellt, in dem sie die Preise erhöhen.

Das haben Wissenschaftler des niederländischen Instituts CE Delf aus den Niederlanden konkret für einzelne Unternehmen berechnet. Bei HeidelbergCement kommen sie auf einen zusätzlichen Profit von 285 Millionen Euro.

HeidelbergCement erklärt auf Nachfrage, dieser Gewinn sei rein theoretischer Natur.

HeidelbergCement: „Aus wettbewerblichen Gründen können wir uns zu einer etwaigen Weitergabe von CO2-Kosten an Kunden nicht im Detail äußern.“

Die Industrie stellt diese Zertifikate ihren Kunden in Rechnung, obwohl sie selbst nichts dafür bezahlt hat. Ein Wahnsinnsgeschäft. Für die deutsche Industrie ergab das Extragewinne von 10 Milliarden Euro, so die Berechnungen niederländischer Wissenschaftler.

Auch im Bundesumweltministerium blickt man kritisch auf den Emissionshandel

Der zuständige Staatssekretär Jochen Flasbarth: „Wir haben in der Vergangenheit, das will ich gar nicht bestreiten, auch im Emissionshandel Fehler gehabt.“

Diese Fehler seien mittlerweile behoben. „Das System wird seine Dienste tun“, so Jochen Flasbarth.

Doch daran gibt es Zweifel

Denn die Industrie besteht darauf, auch weiterhin die CO2-Zertifikate umsonst zu erhalten – und stößt damit auf offene Ohren in der Politik. Ein Ende dieses Belohnungssystems für Umweltsünder ist nicht in Sicht.

Die deutsche EU-Ratspräsidentin Ursula von der Leyen (63, Christdemokratin) schlug am 14. Juli 2021 in Brüssel bei der Bereitstellung des European Union Green Deals vor, die Industrie soll auch weiterhin Gratiszertifikate erhalten. Erst einmal bis 2025. Damit bleibt vorerst alles beim Alten. (FM)