Die neugewählte britische Premierministerin Liz Truss hat Fehler bei der Einführung ihrer umstrittenen Steuersenkungen eingeräumt, wodurch die englische Pensionskasse in Bedrängnis kam. Der englischer Finanzminister Kwarteng versucht den Fehler zu korrigieren und gibt grünes Licht zum Ankauf von englischen Staatsanleihen im Wert von 100 Milliarden Pfund.

Liz Truss löst nach einem Monat Amtszeit Krise aus

Die 47-Jährige britische Premierministerin Liz Truss ist als Vorsitzende der Konservativen Partei am 6.September 2022 in ihr neues Amt gehoben worden. Die ehemalige Außenministerin wurde Nachfolger von Boris Johnson, der vorzeitig aus seinem Amt enthoben wurde. Johnson war der erste Premierminister, dem Gesetzesbruch nachgewiesen werden konnte, zudem folgten Vorwürfe wegen Vetternwirtschaft und viel Kritik, bis er die Unterstützung seiner Konservativen Partei verlor. Unter Boris Johnsons Führung wurder der Brexit vollzogen. Liz Truss ist also kurzfristig in die neue Rolle der Premierministerin geschlüpft.

Die selbsterklärte eiserne Lady Truss hat zusammen mit ihrem Finanzminister eine unpopuläre Entscheidung getroffen. Der Spitzensteuersatz sollte von 45 auf 40 Prozent reduziert werden und der Eingangssteuersatz von 20 auf 19 Prozent gesenkt werden. Unter Eingangssteuersatz versteht man den niedrigsten zu versteuernden Betrag, oberhalb der Steuerfreigrenze. So sollte die englische Bevölkerung bis ins Steuerjahr 2026/27 um rund 45 Milliarden Pfund (51,25 Milliarden Euro) entlastet werde. Der Betrag sollte durch weitere Kredite durch das Vereinigte Königreich ausgeglichen werden.

Innerhalb von Minuten nach der Ankündigung der britischen Regierung sind die Rendite 30-jähriger Staatsanleihen zusammengebrochen, da das Land bereits stark verschuldet ist. Eine prekäre wirtschaftliche Lage für das Vereinigte Königreich ergibt sich aus der offensichtlichen Spannung zwischen der Regierung, die ihre Finanzpolitik lockert, und der Zentralbank, die die Geldpolitik strafft, um die himmelhohe Inflation einzudämmen. Der Ruf der 47-Jährigen Liz Truss, die als eiserne Lady angekündigt hatte, auch umstrittene Entscheidungen unerschrocken durchzusetzen, hat schon jetzt enorm gelitten.

Englische Pensionskasse kauft 30-jährige Staatsanleihen

Die Nachfrage nach 30-jährigen, inflationsgeschützten Staatsanleihen, der sogenannte Gilt-Markt, war am stärksten Betroffen. Niemand wollte mehr sein Geld über 30 Jahre in den Inselstaat von Liz Truss investieren. Die 30-jährige britische Staatsanleihen mit einem Gesamtvolumen von über 1 Billionen Pfund schwankten an einem Tag so stark wie seit fünf Jahren nicht mehr in einem ganzen Jahr – die größte Bewegung an einem Tag, die je verzeichnet wurde.

Die englische Pensionskasse investiert jedoch einen Großteil in genau diese 30-jährige Staatsanleihen aufgrund ihrer langen Laufzeit und ihres Schutzes vor Inflation. Die Rendite stieg am Dienstag um 76 Basispunkte an und erreichte damit einen neuen Rekord, der den Anstieg vom Vortag um 68 Basispunkte in den Schatten stellte. Beide Anstiege waren mehr als doppelt so hoch wie der bisher größte Sprung im März 2020.

Eine höhere Rendite klingt doch fantastisch, auf dem Papier ist der Anstieg für die leistungsorientierten Pensionssysteme jedenfalls großartig. Dies ist kontraintuitiv, da die Pensionskasse hauptsächlich Anleihen hält, die bei steigenden Renditen an Wert verlieren. Der Wert ihrer künftigen Verbindlichkeiten wird jedoch unter Bezugnahme auf die Marktzinssätze berechnet. Wenn diese steigen, verbessert sich ihr Finanzierungsstatus, sofern alle anderen Faktoren gleich bleiben. Die Bank of England (BoE) hatte geplant englische Staatsanleihen in den kommenden Wochen zu verkaufen, damit hätte sich die Situation für die Staatsanleihen und die englische Pensionskasse sogar noch verbessert.

Inflationsschutz wird der englischen Pensionskasse zum Verhängnis

Die in Großbritannien beliebten Rentenpläne zahlen den Rentnern in der Zukunft eine feste, an die Inflation gebundene Summe aus. Daher sind die 30-jährigen inflationsgeschützten Staatsanleihen so beliebt bei der englischen Pensionskasse und bei privaten Rentenversicherungen. Steigen die Zinssätze, sinken die Anleihekurse und die Rentenverbindlichkeiten – im Wesentlichen das Geld, das sie den Rentnern in der Zukunft schulden – verlieren an Wert. Wenn die Zinssätze jedoch sinken, tritt das Gegenteil ein, so dass die Fonds in Zukunft mehr Geld generieren müssen, um ihre Verbindlichkeiten zu decken.

Auf Twitter erklärt Marc Friedrich eine Art Schneeballsystem der englischen Pensionskasse, wie die englische Pensionskasse unter anderem Geld generiert hat. „In England haben die Pensionskassen britische Staatsanleihen gekauft. Diese haben sie als Sicherheit hinterlegt ,um neues Geld aufzunehmen, um wieder britische Staatsanleihen zu kaufen.“ Das soll mehrmals vorgefallen sein, sodass dieselben Werte mehrfach belastet sind.

Sogar der IWF hat ungewoht deutliche Kritik an die geplanten Steuersenkungen geäußert. „Die Art und Weise der britischen Maßnahmen wird außerdem sehr wahrscheinlich die Ungleichheit vergrößern.“ Der IWF-Sprecher empfiehlt angesichts der hohen Inflation in Großbritannien keine „großen und ungezielten Finanzpakete“ zu erlassen. Es wäre die größte Steuererlassung seit 1972 und die Ratingagentur Moody’s betonte eine negative Auswirkung auf die Bonitätsnote von England.

Das Schneeballsystem der englischen Pensionskasse – Marc Friedrich auf Twitter
Das Schneeballsystem der englischen Pensionskasse – Marc Friedrich auf Twitter
Margin Calls für die Englische Pensionskasse

Das Problem ergibt sich aus der Geschwindigkeit und dem Ausmaß der jüngsten Renditeschwankungen und der Hebelwirkung, die bei der Strategie der englischen Pensionskasse zur Absicherung gegen höhere Zinsen eingesetzt wird. Als die Zinssätze in die Höhe schnellten, lösten sie eine Kette von Sicherheitenaufrufen aus. Dieselben Fonds mussten schon Anfang des Jahres angesichts des Ausverkaufs von Anleihen Sicherheiten stellen, das ist also nicht unbedingt ungewöhnlich.

Aber das Tempo dieser Marktbewegung löste eine ausgewachsene Krise aus. Anstelle von Wochen hatten sie nur Stunden Zeit, um mehr Barmittel zu hinterlegen. Darauf folgten Margin Calls für die englische Pensionskasse, da nicht mehr ausreichend Geld zur Verfügung war, um alle offenen Positionen am Anleihenmarkt zu bedienen. Russell von HSBC äußerte sich dazu:

Die aktuellen Käufe verschaffen ein wenig Zeit, aber es wird noch viel länger dauern, bis die Sicherheitenpools wieder angemessen aufgefüllt sind, so dass die Pensionsfonds in der Zwischenzeit möglicherweise gefährdet sind. Während einige Systeme weniger unter Druck stehen, sind für diejenigen, die Zinsabsicherungen auf fremdfinanzierter Basis hinzugefügt haben, als die Renditen 30-jähriger Gilt-Renditen auf fast 1 % gesunken sind, die aktuellen Niveaus nahe 4 % nicht akzeptabel.

Bank of England beruhigt Anleihenmarkt mit unlimitierten Käufen

Die englische Pensionskasse hätte Staatsanleihen verkaufen müssen, um den Zahlungsaufforderungen nachzukommen. An den Devisenmärkten sank das Pfund auf den niedrigsten Stand seiner Geschichte gegenüber dem US-Dollar und näherte sich der Parität, wobei die Bewegungen ein Ausmaß erreichten, das mit dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie vergleichbar ist.

Die Bank of England setzte das geplante Programm zum Verkauf von Staatsanleihen aus, der Teil der Bemühungen gegen die steigende Inflation war und versprach stattdessen, an den nächsten 13 Wochentagen langfristige Anleihen im Wert von bis zu 5 Mrd. £ pro Tag zu kaufen. Jetzt unterzeichnete der britische Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng einen Anleihekauf der BoE in Höhe von 100 Mrd. £ (113 Mrd. $), um den Anleihenmarkt zu beruhigen. Bisher sind die Käufe weitaus geringer ausgefallen. Die BOE hat in den ersten vier Tagen etwa 3,7 Mrd. £ von möglichen 20 Mrd. £ ausgegeben.

Dieser Betrag ist höher als der von der Zentralbank angekündigte Plan von 65 Mrd. Pfund und zeigt, wie besorgt die Beamten über die Volatilität der Gilt-Märkte sind. Deutschland hat ebenfalls 65 Mrd. Euro in dem neusten Entlastungspaket für die Bürger investiert. Es zeigt die bereitschaft der britischen Regierung, den Anleihenmarkt mit allen Mitteln zu retten. Analysten sagten, dass der Betrag kaum einen Unterschied zum Schuldenberg der englischen Pensionskasse macht und eine nachhaltigere Lösung erforderlich sei, bevor die Bank of England Mitte Oktober aufhört, Gilts zu stützen. Kwarteng plant nun, die Veröffentlichung seines Finanzplans auf später in diesem Monat vorzuziehen, teilten die Financial Times und eine Regierungsquelle am späten Montag mit.

Dunkle Wolken machen sich über England breit - Bank of England macht U-Turn um Pension zu retten
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Finanzwelt am zittern – beinahe das zweite Lehman Brothers

Banker, Börsenhändler und Finanzexperten sehen solche Bewegungen im Anleihenmarkt zum ersten mal. „An einem bestimmten Punkt am Mittwochmorgen hatte ich Sorge, dass das der Anfang vom Ende ist“, zitiert die Financial Times einen Londoner Banker. „Es war nicht ganz ein Lehman-Moment. Aber fast.“ Der Zusammenbruch der US-Bank Lehman-Brothers im Herbst 2008 gilt als Katalysator der weltweiten Finanzkrise.

Das ist das extremste Marktereignis, das ich je erlebt habe„, sagte Simon Bentley, Leiter des britischen Kundenportfolio-Managements beim Vermögensverwalter Columbia Threadneedle, der kurz vor dem Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000 im Finanzwesen anfing. Die Bewegungen waren so stark, dass Bentley, der diese Geschäfte für Pensionsfonds abwickelt, die Bank of England alarmierte, sagte er. „Wir wollten sicherstellen, dass kristallklar ist, was wir auf den Märkten sehen“, sagte er.

Liz Truss äußerte sich in einem Interview bei BBC zu der Situation, möchte trotz der Kritik aber weiter an ihrem neuen Finanzplan festhalten. Ihre Begründung für die Umstrukturierung des Finanzsektors und eine Mehrbelastung des britischen Staats lautet:

Das ist ein globales Problem, wir haben Putins Krieg in der Ukraine, die Folgen von Covid, und was in der ganzen Welt passiert, ist, dass die Zinsen steigen. […] Wir haben die zweitniedrigste Verschuldung in der G7

(TB)