Fehlender Ökostrom schlägt sich in Deutschland auf die Strompreise nieder.

Strompreise - Ökostrom hinkt in Deutschland dem Strombedarf hinterher ©  Pressefoto BEE Bundesverband Erneuerbarer Energien e.V., Berlin
Strompreise – Ökostrom hinkt in Deutschland dem Strombedarf hinterher ©  Pressefoto BEE Bundesverband Erneuerbarer Energien e.V., Berlin

An der Börse wird Strom für rund drei Cent pro Kilowattstunde gehandelt. Doch deutsche Verbraucher zahlen im Durchschnitt mehr als 30 Cent. Damit ist Deutschland Weltmeister im Strompreis.

Die Kosten für Wind und Photovoltaik sinken seit Jahren, trotzdem steigen die Kosten für Verbraucherinnen und Verbraucher und für die nicht von der EEG-Umlage befreiten Betriebe. Allein diese Korrelation zeigt, dass etwas im System nicht stimmt.

Das liegt daran, dass Deutschland den Kohlestrom zwar verteuert und den Erneuerbare-Energie-Strom verbilligt hat, aber in Deutschland gibt es noch viel zu wenig Ökostrom-Abnehmer.

BEE-Präsidentin Dr. Simone Peter © Pressefoto BEE Bundesverband Erneuerbare Energien e.V.
BEE-Präsidentin Dr. Simone Peter © Pressefoto BEE Bundesverband Erneuerbare Energien e.V.

„Wir steuern auf eine Ökostromlücke von 100 Terrawattstunden (TWh) zu.“ Das prophezeit Dr. Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie e.V. (BEE), gegenüber energiezukunft der Düsseldorfer Naturstrom AG.

Je länger mit dem beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien gewartet würde, desto eher drohe eine Ökostromlücke, sagte sie. Im kommenden Jahr werde der Atomausstieg abgeschlossen und Kohlekraftwerke seien aufgrund hoher CO2-Preise kaum mehr rentabel.

Dr. Simone Peter warnt:

„Die Bundesregierung unterschätzt den Bruttostrombedarf für 2030 massiv. Vor allem die angestrebte Elektrifizierung von Verkehr und Wärme im Zuge der Sektorenkopplung und größere Mengen grünen Wasserstoffs sorgen unseren Berechnungen nach für einen zusätzlichen Bedarf von etwa 150 Terrawattstunden Strom. Wir gehen von einem Bruttostrombedarf von mindestens 740 TWh im Jahr 2030 aus. 65 Prozent des Stroms sollen dann aus Erneuerbaren Energien stammen. Das ist mit dem aktuellen Ausbautempo nicht zu schaffen.“

Der Anteil der Erneuerbaren Energien am gesamten Primärenergiebedarf liegt erst bei 17 Prozent.

Strompreise - Nach Berechnungen des BDEW Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. aus Berlin ist die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien im Jahr 2021 bislang sogar um rund 12 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken statt gestiegen, wie die Grafik zeigt. Die Strompreise können so nicht sinken.
Strompreise – Nach Berechnungen des BDEW Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. aus Berlin ist die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien im Jahr 2021 bislang sogar um rund 12 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken statt gestiegen, wie die Grafik zeigt. Die Strompreise können so nicht sinken.

Kerstin Andreae, Vorsitzende der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (BDEW)-Hauptgeschäftsführung, sagte gegenüber agrarheute:  „Es ist schon seit langem klar, dass mehr Strom benötigt wird, wenn Millionen E-Autos und Wärmepumpen auf dem Markt sind und immer mehr grüner Wasserstoff produziert wird. Aus unserer Sicht ist zudem ein höherer Anteil der Erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung von 70 Prozent bis 2030 erforderlich, wenn die Klimaziele überhaupt erreicht werden sollen.“

Kerstin Andreae, BDEW-Hauptgeschäftsführerin © Pressefoto Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V., Berlin
Kerstin Andreae, BDEW-Hauptgeschäftsführerin © Pressefoto Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V., Berlin

Beispiel Solarstrom

Der BDEW berechnete: Um bis 2045 klimaneutral leben und wirtschaften zu können, sind bis 2030 mindestens 150 Gigawatt (GW) installierte Leistung Photovoltaik notwendig. Das entspricht einem Zubau von jährlich rund 10 GW bis 2030. Heute sind knapp 50 GW Photovoltaik installiert, im vergangenen Jahr 4,8 GW hinzugekommen – der höchste Wert seit 2012.

„100 GW Photovoltaik in nur einem Jahrzehnt zuzubauen, erfordert einen nie dagewesenen PV-Boom. Das Ziel ist aber erreichbar, wenn die Politik jetzt die richtigen Hebel in Bewegung setzt“, sagt BDEW-Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae. „Notwendig ist ein konsistenter Instrumentenmix aus finanziellen Anreizen für Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürger, mehr Flexibilität bei der Wahl der Nutzung des erzeugten PV-Stroms und eine deutliche Entbürokratisierung rund um den Bau und die Nutzung von PV-Anlagen.“

Bund und Länder müssten zudem mehr Flächen für Photovoltaik-Anlagen bereitstellen.

Zum Beispiel durch eine PV-Pflicht für öffentliche Neubauten oder innovative Konzepte wie Agri-PV oder schwimmende Solar-Anlagen.  „Wir müssen auch die Dächer von Wohn- und Gewerbebauten wesentlich stärker nutzen: Es muss attraktiver werden, eine PV-Anlage auf das Dach zu montieren. Hemmschwellen für die Dachflächen-Photovoltaik müssen beseitigt werden. Der Photovoltaik-Ausbau darf nicht an fehlenden Flächen scheitern!“

Zudem müssen laut BDEW-Handlungsempfehlung die Weichen für Wind-Offshore langfristig und als europäisches Projekt gestellt werden. Dazu gehören auch die Ermöglichung grenzüberschreitender Projekte und ein europäisches Offshore-Marktdesign.

Andreae: „Wir brauchen einen Ausbau-Boom für alle Erneuerbaren. Dafür muss auch die Politik die Voraussetzungen schaffen: Es geht darum, Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, das Repowering zu erleichtern, Flächen für den Erneuerbaren-Ausbau zu sichern, mit Blick auf Wind-Onshore das Artenschutzrecht vollziehbar zu machen.“

Außerdem hat auch das Bundeswirtschaftsministerium die Notwendigkeit des Netzaus- und Umbaus betont. Nur ein konsequenter Netzausbau stellt sicher, dass grüne Energie jederzeit dorthin gelangen kann, wo sie gebraucht wird. Hierfür werden Milliarden-Investitionen erforderlich sein, sagt die BDEW-Geschäftsführerin.

Deshalb müssten die notwendigen Netz-Investitionen auch für Investoren und Kapitalgeber attraktiv bleiben. „Um die Versorgungssicherheit auf dem aktuell sehr hohen Niveau zu halten, müssen zudem alle Flexibilitätspotenziale beispielsweise über Lastmanagement und Speicher gehoben werden. Unabdingbar für die erforderliche gesicherte Leistung ist außerdem ein Zubau von Gaskraftwerken, die Wasserstofftauglich sind und zunehmend mit klimaneutralen Gase betrieben werden.“

Kein anderes Land der Welt hat derart hohe Strompreise.

Über die Hälfte der Stromrechnung ist durch Steuern und Umlagen staatlich verursacht. Daran ändern auch die weitreichenden Befreiungen energieintensiver Großbetriebe von der EEG-Umlage nichts.

Dabei sind die Strompreise im europäischen Durchschnitt im vergangenen Jahr den Angaben von Eurostat zufolge gesunken. Im Euroraum um 0,53 Cent auf 22,47 Cent je Kilowattstunde. Und in den 27 Ländern der Europäischen Union um 0,51 Cent auf 21,26 Cent.

Die deutschen Strompreise liegen seit Jahren weit über dem europäischen Durchschnitt.

Strom kostet in Deutschland mehr als dreimal so viel wie in Bulgarien und mehr als doppelt so viel wie bei unseren Nachbarstaaten Niederlande und Polen.

Was macht den Strom in Deutschland so viel teurer als in anderen Ländern?

Deutschland kommt aus einer Welt aus Kohle, Gas und Atomstrom und baut die Energieversorgung gerade komplett um. Andere Länder machen es nicht oder müssen es nicht machen. Norwegen zum Beispiel hatte immer 100 Prozent Wasserkraft, Frankreich bleibt sehr stark bei der Atomkraft. Deswegen sind die Strompreise unterschiedlich hoch.

Es kommen immer neue preistreibende Faktoren hinzu.

„Zum einen sind die Zertifikate im Europäischen Emissionshandel teurer geworden, gleichzeitig ist der Gaspreis gestiegen. Auch die bevorstehende Abschaltung der Atomkraftwerke dürfte sich bemerkbar machen“, sagt Veronika Grimm, Professorin an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied der Wirtschaftsweisen in der WirtschaftsWoche.

In Brüssel gibt es sogar Pläne, die Sonderregeln für stromintensive Unternehmen einzuschränken. Die EU-Kommission überarbeitet derzeit ihre Leitlinien für Klima-, Umweltschutz- und Energiebeihilfen. Es wäre der nächste Kostenschub für die deutsche Industrie.

Hohe Strompreise werden zu einem immer gefährlicheren Standortnachteil in Deutschland.

Die Ökonomie-Professorin Grimm warnt: „Die hohen Strompreise stellen für die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen eine Herausforderung dar.“

Der Leverkusener Chemiekonzern Covestro gehört zu den energieintensivsten Konzernen und sieht die Energiewende in Deutschland mit Sorge. Produktions- und Technikvorstand Klaus Schäfer warnte in der WirtschaftsWoche: „Eine De-Industrialisierung Deutschlands wäre die Folge.“  Covestro und weitere Dax-Konzerne warnen vor einem Preisschock.

„Den Mittelstand treffen die Strompreise wie ein Schlag“, sagt Alexander Kronimus, Energieexperte beim Verband der Chemischen Industrie (VCI).

Entlastung? Nicht in Sicht. Nach einer aktuellen Prognos-Studie im Auftrag der bayrischen Wirtschaft könnten die Großhandelspreise für Strom bis 2030 um bis zu 50 Prozent steigen.

Der globale Wettbewerbsnachteil, der deutschen Exportunternehmen durch die extrem hohen Strompreise erwächst, wird sträflich unterschätzt“, mahnt Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. „Wenn die Politik nicht gegensteuert, dürfte es in den kommenden Jahren viele Unternehmen zum Beispiel nach Osteuropa treiben.“

Einen weiteren Anstieg der Strompreise, darin sind sich beispielsweise Energieökonom Andreas Löschel von der Universität Münster, der Bundesverband der Deutschen Industrie BDI und auch Verbraucherschützer wie Udo Sieverding, Energieexperte der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, einig, kann nur die Politik verhindern. „Die Einnahmen aus dem CO2-Preis müssen genutzt werden, um die Abgaben und Umlage, die auf dem Strompreis liegen, herunterzubringen“, forderte Löschel, der eine Expertenkommission der Bundesregierung leitet. (FM)