Für den Greifvogel Rotmilan werden immer wieder dringend benötigte Windparks gestoppt. Aus Unwissenheit. Denn der Rotmilan stirbt so gut wie nie durch ein Windrad, sondern in der Hauptsache durch vergiftete Ratten und Mäuse, die er als Nahrung zu sich nimmt. Die vergifteten Köder haben Menschen ausgelegt.

Toter Rotmilan © Pressefoto Life Eurokite / Maik Sommerhage
Toter Rotmilan © Pressefoto Life Eurokite / Maik Sommerhage

Das zeigt ein aktuelles EU-Forschungsprojekt, das die Autoren Hans Koberstein und Jörg Moll im ZDF-Magazin Frontal 21 am 22. Februar 2022 in ihrer Reportage „Rotmilan gegen Windkraft – Das Märchen vom bedrohten Greifvogel“ ausführlich vorgestellt haben.

Hier die ersten Ergebnisse von LIFE EUROKITE

Ein Rotmilan-Nest mit besenderten Jungvögeln © Pressefoto TB Raab Technisches Büro für Biologie im österreichischen Deutsch-Wagram
Ein Rotmilan-Nest mit besenderten Jungvögeln © Pressefoto TB Raab Technisches Büro für Biologie im österreichischen Deutsch-Wagram

Für das LIFE EUROKITE Projekt wurden vom 8. bis 25. Juni 2020 in Deutschland und Österreich rund 100 Rotmilane und 12 Rotmilane in Spanien besendert. Die Kernidee dieser Aktion besteht darin, mithilfe der Telemetrie-Technologie die Lebensraumnutzung dieser Art zu ermitteln und die Hauptgründe für die Sterblichkeit von Greifvogelarten in der EU zu quantifizieren. Bis 2024 sollen rund 615 Rotmilane und 80 weitere Greifvögel (Seeadler, Kaiseradler, Schwarzmilan, SakerFalke) in 40 Gebieten in 12 Ländern mit GPS-Trackern verfolgt werden, um ihre Aktivität permanent zu überwachen

„An einem Windrad zu sterben, ist ein äußerst seltenes Ereignis, wirklich extrem selten“, fasst Magister Dr. Rainer Raab vom Technischen Büro für Biologie im österreichischen Deutsch-Wagram die ersten Ergebnisse von „LIFE EUROKITE“ zusammen. Seit zwei Jahren sammelt er für die EU-Kommission Daten über den Rotmilan. Sein Team stattet die Vögel mit GPS-Sendern aus, um dann im Todesfall die Ursache festzustellen. Rund 700 tote Rotmilane (besenderte und unbesenderte) haben die Forscher aufgespürt und untersucht. „Die häufigste menschengemachte Todesursache ist Gift“, erklärt Raab, wenn Rotmilane tote Ratten oder Mäuse fressen, die an Giftködern verendet sind.

Rotmilane werden „extrem selten“ von Windrädern erschlagen

Giftköder sind in der Landwirtschaft üblich und werden illegal bei der Jagd eingesetzt. „Dann kommt der Straßenverkehr“, so Raab, „dass sie zu Tode kommen auf irgendeiner Autobahn oder Schnellstraße. Der nächste Grund ist dann Abschuss.“ Auch der Abschuss ist illegal. Als nächst häufige Todesursache führt Raab Stromschlag durch Stromleitungen an. „Als nächstes kommt was wirklich Skurriles: dass sie von Zügen erfasst werden.“ Und seltener noch als an der Eisenbahn sterben Rotmilane durch Windräder – „unter ferner liefen“, so Raab.

Rotmilan und Windrad © Pressefoto Life Eurokite / Maik Sommerhage
Rotmilan und Windrad © Pressefoto Life Eurokite / Maik Sommerhage

Dank GPS kann Rainer Raab die Flugbewegungen der Rotmilane in Deutschland nachvollziehen, die in der Nähe von Windparks brüten.

Biologe Rainer Raab: „Die Regel ist, dass sich die Rotmilane tausend Stunden im Windpark bewegen können, ohne dagegen zu fliegen.“

Dennoch scheitert der Neu- oder Ausbau von Windkraftanlagen in Deutschland regelmäßig vor Gericht. Naturschützer klagen, weil der Rotmilan durch Windräder einem deutlich erhöhten Todesrisiko ausgesetzt sei, vor allem wenn er in der Nähe brütet. Rotorblätter würden den Greifvogel erschlagen. Das bedeutet in der Regel das Aus für neue Windräder. Die neuen Forschungsergebnisse könnten dem nun ein Ende setzen.

Rotmilan entwickelt sich hervorragend in Europa

Tatsächlich hat sich der Rotmilan in Europa hervorragend entwickelt. Die Vogelschützer von „BirdLife Europe“ nennen das eine „bemerkenswerte Erfolgsstory“. So steht es auch in deren aktueller Roten Liste der Brutvögel. Dort wurde der Rotmilan in die beste Kategorie hochgestuft: „least concern“ – das heißt so viel wie „geringste Sorge“. Auch in Deutschland hat sich die Zahl der Rotmilan-Brutpaare positiv entwickelt – ausgerechnet in der Zeit, in der fast 30.000 Windräder aufgestellt wurden.

Die Energiewende steht auf der Kippe. Für Experten ist klar: Ohne deutlich mehr Windkraft wird Deutschland das Pariser Klimaschutzabkommen nicht einhalten.

Prof. Volker Quaschning, Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, warnte schon 2019 in Frontal 21: „Wenn wir Paris einhalten wollen, müssen wir 100 Prozent Erneuerbare hinbekommen. Und dafür muss die Windenergie an Land 30, 40 Prozent mindestens des Energiebedarfs decken, weil wir keine Alternativen dazu haben.“

Und es gibt noch ein Problem:

Immer mehr alte und kleine Windkraftanlagen werden demnächst abgeschaltet, weil Wartung und Erhalt der alten Turbine sich nicht mehr lohnen. Sie müssen ersetzt werden.

Im westfälischen Windpark „Wohlbedacht“, wollten Johannes Lackmann und sein Partner Michael Flocke im Jahr 2019 elf alte durch acht neue Windräder ersetzen. Die neuen Windräder sind größer und effizienter, sollen insgesamt rund dreieinhalb Mal so viel Strom liefern – am selben Standort.

Die Genehmigung erfolgte, war aber kein Grund zur Freude

Johannes Lackmann, WestfalenWIND: „Wir haben hier in der Genehmigung 111 Auflagen. Und eine dieser Auflagen sagt, dass wir den ganzen Windpark zwischen dem 01.03. und dem 31.10. nur bei völliger Dunkelheit betreiben dürfen. Das ist völlig absurd. Dadurch gehen 40 Prozent des Jahresertrages verloren. Und wenn man solche Stillstandzeiten hat, dann wird Energiewende nicht nur verhindert, sondern sie wird auch im Zweifel dann extrem teuer.“

Grund für den verordneten Stillstand ist der Rotmilan. Dieser Zugvogel brütet und jagt in der Gegend. Die Abschaltung tagsüber soll verhindern, dass die Population der Tiere durch die neuen Windkraftanlagen gefährdet wird.

Direkt an den Windpark grenzt der Wald des Grafen von Westfalen

Uwe Meyer leitet den Gräflichen Forstbetrieb Fürstenberg. Meyer sagt: „Ich habe nicht den Eindruck – und zwar haben wir da einen großen Einblick über weite Flächen – dass das Rotmilan-Vorkommen durch Zubau von Windrädern irgendwie eingeschränkt ist, geschweige denn, dass ich eher den Eindruck habe, dass sich das Rotmilan-Vorkommen auf einem guten Niveau mindestens stabilisiert, wenn nicht eher zunimmt.“

Sorgen macht sich Förster Meyer nicht um mögliche Umweltfolgen von Windrädern. Aufgrund der extremen Trockenheit der beiden Sommer 2018 und 2019 musste er Tausende der alten Fichten einschlagen.

Der Klimawandel bedroht die Wälder – nicht nur hier

Auch deswegen fordern alle großen Umweltverbände den schnellen Ausbau von Windkraft.

Ein Umweltverband jedoch klagt gegen die Erneuerung von Lackmanns Windpark. Es ist der Naturschutzbund Deutschland in NRW. Heinz Kowalski will noch längere Stillstandzeiten für die neuen Windräder.

Heinz Kowalski, Naturschutzbund Deutschland: „Wir klagen wegen des Rotmilans, den wir natürlich schützen wollen, und der bleibt inzwischen das ganze Jahr in vielen Bereichen in Deutschland, auch hier fliegen nicht mehr alle weg. Und deshalb sehen wir ihn auch im Winter gefährdet. Und deshalb klagen wir.“

Bedroht die Windkraft den Rotmilan?

Seit 1994 hat sich die Zahl der Brutpaare in Deutschland erhöht – und das, obwohl die Windkraft zur gleichen Zeit massiv ausgebaut wurde.

Dennoch ist der Rotmilan einer der häufigsten Klagegründe gegen Windparks. Gabriela Terhorst ist auch Naturschützerin und kann das nicht nachvollziehen. Sie vertritt den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Sie sagt: „Unser Problem ist derzeit, dass der Rotmilan im Artenschutz missbraucht wird. Die Population hat sich stabilisiert. Sie ist auch leicht nach oben gegangen – und das trotz des Ausbaus der Windkraftanlagen hier in Deutschland.“ Missbrauchter Artenschutz, immer mehr Bürgerproteste, langjährige Genehmigungsverfahren. Die Windkraft und der Klimaschutz stecken in der Krise.

Politisch verantwortlich ist die Ampel-Regierung in Berlin

Der Wirtschafts- und Energiewendeminister Robert Habeck (52, Grüne, wohnt in der Nähe von Flensburg) will den Schutz des vom Aussterben bedrohten Vogels Rotmilan lockern, um mehr Windräder bauen zu können.

Sein Staatssekretär Sven Giegold (52, Grüne, der Ökonom ist Mitgründer des globalisierungskritischen Netzwerks Attac) aus Düsseldorf will für einen schnelleren Ausbau von Windkraft- und Solaranlagen in Deutschland bei der EU-Kommission eine Entschärfung von Naturschutzrichtlinien erwirken. „Sobald ein Rotmilan in einem Planungsgebiet auftaucht, kann dort im Prinzip nicht mehr gebaut werden“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) am 10. Dezember 2021. „Das muss verändert werden, denn es geht im Naturschutz ja eigentlich um den Bestand und nicht zwingend um das einzelne Tier“, sagte Giegold.

Darum plädiere er bei den europäischen Richtlinien für die Umstellung von „Individuen-Schutz zum Populationsschutz“. Giegold sagte dem RND, er habe darüber auch schon mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (63, Christdemokratin) in Brüssel gesprochen. Zwar rechne er mit „Ärger bei einem Teil der Naturschutzverbände“, sagte Giegold. Auch dort habe aber „bereits ein Umdenken“ eingesetzt. „Wenn wir mit dem Ausbau der Erneuerbaren vorankommen wollen, ist die Änderung im Europäischen Naturschutzrecht notwendig“, betonte er.

Zur Abfederung der negativen Effekte beim weiteren Ausbau der Erneuerbaren hat die Bundesumweltministerin Steffi Lemke (54, Grüne) aus Dessau in Sachsen-Anhalt umfangreiche Artenhilfsprogramme angekündigt.

Was plant das Bundesumweltministerin in diesem Bereich konkret?

Steffi Lemke sagte am 16. Februar 2022 den Bremer RiffReportern: „Die Programme werden derzeit erarbeitet, die Haushaltsanmeldungen laufen. Wir ziehen ein breites Spektrum an Maßnahmen in Betracht: Dazu gehören technische Lösungen wie Erkennungssysteme für anfliegende Vögel oder Fledermäuse an Windrädern, sodass Rotoren gestoppt werden können, aber auch weitere Verbesserungen für die betroffenen Arten in ihren Lebensräumen. Dabei werden wir natürlich auch die Expertise aus der Wissenschaft und auch aus dem zivilgesellschaftlichen Bereich einbeziehen.“(FM)