Hawala ist ein in Indien entwickeltes illegales Geldtransfersystem, das allerdings auch in Deutschland bestens funktioniert.

Ohne Überwachung durch Banken, Zollämter oder Steuerbehörden und eignet sich daher zur Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Ein Unfall und ein Turnbeutel mit 300.000 Euro in bar verhalfen den Fahndern nun zu einem großen Coup.

Die Westdeutsche Zeitung twitterte am 6. Oktober 2021 um 10.44 Uhr „Große Razzia in Wuppertal, Krefeld und Düsseldorf“ © Twitter.com/wznewsline
Hawala: Die Westdeutsche Zeitung twitterte am 6. Oktober 2021 um 10.44 Uhr „Große Razzia in Wuppertal, Krefeld und Düsseldorf“ © Twitter.com/wznewsline

Hawala: Der Unfall geschah am 28. Mai 2020 auf der A61

Bei der Ausfahrt Kaldenkirchen kam ein Auto von der Fahrbahn ab und landete im Graben. Eine Streife des Zolls war zufällig in der Nähe und wollte helfen. Die Beamten trafen auf zwei Männer, die leicht verletzt waren, aber augenscheinlich gar keine Hilfe wollten. Die Zollbeamten merkten schnell, dass hier offenbar etwas nicht stimmte, und schauten sich den Wagen genauer an.

300.000 Euro im Turnbeutel

Die große Überraschung: Sie entdeckten im Auto einen Turnbeutel mit etwa 300.000 Euro. Angeblich soll es sich um Drogengeld aus den Niederlanden handeln, heißt es aus Ermittlerkreisen später. Das Geld sollte wohl über ein illegales Bankensystem ins Ausland gebracht werden, dem sogenannten Hawala-Banking. Der Fahrer Syrer Halid A. ist schon länger im Visier der Behörden. Er soll IS-Kämpfer in der syrischen Provinz Idlib unterstützt haben. Die Verdachtsmomente reichten bis dahin aber wohl nicht für einen Haftbefehl.

Doch ab dem Unfall nahmen die Ermittler Halid A. und seinen Mitfahrer, den deutschen Konvertiten Manfred T., genauer unter die Lupe, hörten Telefone ab und ermittelten monatelang verdeckt.

Die verdeckte Ermittlung mündete nun in einer Großrazzia

Diese Bildkombination, die auf der Pressekonferenz von der ZeOS NRW (Zentral- und Ansprechstelle für die Verfolgung Organisierter Straftaten) am 6. Oktober 2021 mittags präsentiert wurde, zeigt Vermögenswerte und eine PTB-Waffe, die bei der Großrazzia sichergestellt wurden © dpa/Hendrik Timmer
Diese Bildkombination, die auf der Pressekonferenz von der ZeOS NRW (Zentral- und Ansprechstelle für die Verfolgung Organisierter Straftaten) am 6. Oktober 2021 mittags präsentiert wurde, zeigt Vermögenswerte und eine PTB-Waffe (Schreckschußpistole), die bei der Großrazzia zu Hawala sichergestellt wurden © dpa/Hendrik Timmer

Am 6. Oktober 2021 um 4 Uhr rückten Zoll und SEK zu einer eine Razzia in 85 Büros (insbesondere von Speditionen) und Wohnungen in 23 Städten in Nordrhein-Westfalen sowie in Hannover und Bremerhaven an.

1.400 Polizisten waren zeitgleich im Einsatz. Es geht um Geldwäsche in großem Stil (140 Millionen Euro), um Gewalttaten und Terror-Finanzierung.

Im Fokus der Ermittler: 67 Beschuldigte im Alter von 18 bis 67 Jahren, die Mitglieder in einem seit 2016 agierenden, internationalen Geldwäsche- und Hawala-Netzwerk sein sollen.

Elf mutmassliche islamistische Gefährder aus Syrien wurden dabei festgenommen

Gegen einen 39 Jahre alten Beschuldigten, der in NRW lebt und die syrische Staatsbürgerschaft hat, wurde nach Polizeiangaben zudem ein Untersuchungshaftbefehl wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland vollstreckt.

Der Mann sei verdächtig, sich 2013 in Syrien der Gruppierung Jabhat al-Nusra angeschlossen und einen Kampfverband angeführt zu haben.

Ralf Schuler, Leiter der Parlamentsredaktion von BILD, twitterte am Nachmittag: „Schlag gegen Terror-Netzwerk: Viele Beschuldigte kamen 2015 als Flüchtlinge zu uns“.

© Twitter.com/drumheadberlin vom 6. Oktober 2021, 15:18 Uhr
© Twitter.com/drumheadberlin vom 6. Oktober 2021, 15:18 Uhr

 Hawala-Razzia: „ein verdammt dickes Ding“

Schon am Mittag nach dem Einsatz gab es eine Pressekonferenz in Düsseldorf.

Der Rheinländer Herbert Reul (69, CDU), Innenminister von Nordrhein-Westfalen, sagte: „Wir haben heute einen extrem ergiebigen Geldhahn abgedreht. Das war ein verdammt dickes Ding.“

NRW-Justizminister Peter Biesenbach (links, 73, CDU) und NRW-Innenminister Herbert Reul (69, CDU) auf einer gemeinsamen Pressekonferenz am 6. Oktober 2021 in Düsseldorf © Twitter.com Innenministerium NRW
NRW-Justizminister Peter Biesenbach (links, 73, CDU) und NRW-Innenminister Herbert Reul (69, CDU) auf einer gemeinsamen Pressekonferenz am 6. Oktober 2021 in Düsseldorf © Twitter.com Innenministerium NRW

NRW-Justizminister Peter Biesenbach (73, CDU) sprach von einem „Paukenschlag“ gegen die organisierte Kriminalität.

Bei der Großrazzia wurden einmal 800.000 Euro und einmal 500.000 Euro Bargeld beschlagnahmt, teilte die Staatsanwaltschaft Düsseldorf am Mittag mit. Außerdem konnten die Polizisten Luxusautos und eine Stereoanlage im Wert von 100.000 Euro sicherstellen.

4,5 Millionen Euro Vermögen beschlagnahmt

Die ZeOS NRW (Zentral- und Ansprechstelle für die Verfolgung Organisierter Straftaten) und das Polizeipräsidium Düsseldorf informierten in einer gemeinsamen Presseerklärung am 6. Oktober 2021: „Im Rahmen der heutigen Maßnahme wurden in Vollziehung von 10 Vermögensarresten unter anderem die Eintragung einer Sicherungshypothek für ein Grundstück veranlasst sowie 14 Konten gepfändet. Weiterhin wurden Bargeld und Vermögenswerte in Höhe von zirka 4,5 Millionen Euro gesichert, darunter Luxusuhren, Schmuck, Gemälde und mehrere hochpreisige Sportwagen.“ Den Turnbeutel mit den 300.000 Euro hatte der Zoll schon beim Unfall sichergestellt.

Die Durchsuchungen fanden unter anderem in Bergisch Gladbach, Bochum, Bottrop, Bremerhaven, Castrop-Rauxel, Dortmund, Düsseldorf, Erkelenz, Essen, Geilenkirchen, Gelsenkirchen, Hannover, Heinsberg, Hückelhoven, Köln, Krefeld, Mönchengladbach, Neuss, Olfen, Remscheid, Schwerte, Viersen und Wuppertal statt.

 Offiziell kassierten die meisten der 67 Beschuldigten Hartz-IV

Inoffiziell sollen 44 Syrer, 10 Deutsche (auch ein Steuerberater habe unangemeldeten Besuch bekommen), 5 Jordanier und 4 Libanesen in großem Stil das in Deutschland verbotene Schattenbanking-Netzwerk Hawala betrieben haben. 140 Millionen Euro sollen in die Türkei und nach Syrien geschleust worden sein.

Niemand in ihren Zahlungsbüros in Deutschland und den Niederlanden fragte, woher das Geld stammt. Egal, ob aus Drogengeschäften, Erpressung, Geiselnahme, Raub, Prostitution oder Einbrüchen.

Die „Hawaladare“ kauften von dem Bargeld Gold, LKWs oder laut Polizei beispielsweise auch täglich für 35.000 Euro 75 gestohlene Katalysatoren aus Nordrhein-Westfalen. Die Waren wurden als Export in den Nahen Osten deklariert und dort wieder zu Geld gemacht. Schlägertrupps sorgten dafür, dass das System nicht stotterte.

Was ist Hawala und wie funktioniert es in Deutschland?

Hawala, arabisch „Wechsel“, ist ein verschwiegenes Transfersystem, das Flüchtlinge oder auch Geschäftsleute benutzen, um Geld zu transferieren. Aber auch Drogenhändler und Terrornetzwerke nutzen Hawala. Das illegale System funktioniert über Vertrauen, durch Geldweiterreichen von Hand zu Hand. Ohne Quittung.

Wer Hawala in Facebook sucht, stößt auf verschiedene Angebote. Fragt man in einem der Chats nach, ob es möglich sei, 6.000 Euro nach Erbil im Irak zu schicken?, lautet die Antwort: „Kein Problem, die Provision beträgt acht Prozent“.

Das Geld muss man zu einem Hawala-Banker in seiner Region bringen, den man genannt bekommt. Aber nur selten wird das Geld tatsächlich in den Nahen Osten oder umgekehrt transportiert. Stattdessen sammeln Hawala-Banker gegen Provision beispielsweise in Deutschland und Syrien Geld ein, das ins Ausland überwiesen werden soll.

Der Hawala-Banker in Deutschland beauftragt dann seinen syrischen Kollegen, entsprechende Summen vor Ort auszuzahlen – und umgekehrt. Die Hawala-Banker geben das Geld an die Empfänger in ihren jeweiligen Ländern weiter. Wenn mehr Geld aus Deutschland nach Syrien geschickt wird als umgekehrt, muss die Differenz ausgeglichen werden. Dann wird Geld tatsächlich über Grenzen hinweg bewegt.

Das ZeOS NRW und das Polizeipräsidium Düsseldorf teilten am 6. Oktober 2021 mit: „Der Ausgleich der Bargeldbestände fand auch in der Weise statt, dass mit dem Bargeld Rechnungen von Firmen aus aller Welt für Warenlieferungen in den Nahen Osten bezahlt wurden. Die Begleichung der Rechnungen erfolgte über Drittfirmen in Deutschland, auf deren Konten das Bargeld eingezahlt wurde.“

Ein Friedensrichter spricht Recht

Sofern es innerhalb des Netzwerkes zu Unstimmigkeiten oder Meinungsverschiedenheiten beispielsweise hinsichtlich der Verwendung der überlassenen Gelder kam, erfolgten nach derzeitigem Stand der Ermittlungen Tätlichkeiten und Drohungen bis hin zu Todesdrohungen, um das vermeintliche Fehlverhalten zu sanktionieren.

Hierzu sollen durch die Beschuldigten Gruppierungen beauftragt worden sein, welche die Forderungen gegen Entgelt eintreiben oder die Streitigkeiten beilegen sollten. Eine dieser Gruppierungen wurde von einem sogenannten Friedensrichter angeführt. Insofern ergab sich im Laufe des Verfahrens gegen einzelne Beschuldigte der Verdacht des besonders schweren Raubes, der Geiselnahme, der gefährlichen Körperverletzung und der Nötigung.

Den MDR-Exakt-Reportern Tarek Khello und Christian Werner war es 2017 gelungen, mit dem Regionalboss für Halle-Leipzig des deutschlandweiten Hawalla-Netzwerkes zu sprechen.

Deutschland ist unter 20 Gebietsleitern aufgeteilt

Der Bigboss, dessen wahre Identität keiner zu kennen behauptet, agiere mal in Hamburg, mal in Bonn. Bei ihm landen jedes Jahr aus ganz Deutschland geschätzte 70 Millionen Euro, die er ins Ausland verschiebt. Wie er das macht, auch das will angeblich keiner wissen.

Der Gebietsleiter für Halle-Leipzig erzählte den MDR-Reportern:Ich bekomme das Geld aus Leipzig, Halle und der ganzen Region, monatlich zwischen 200.000 und 300.000 Euro. In ganz Deutschland gibt es noch einmal rund zwanzig Hawala-Banker, die jeweils für eine Region zuständig sind. Die sammeln mindestens genau so viel Geld ein wie ich, meist noch mehr. 

Wir alle lassen das Geld nach Hamburg oder nach Bonn bringen. Dort bekommt unser Boss das Geld aus ganz Deutschland. Wer er ist, weiß ich nicht und wie er das Geld ins Ausland bringt, weiß ich auch nicht. Wir kennen uns untereinander nicht.“

Ein Hawala-Banker verdient bis zu 30.000 Euro monatlich

Der Hawala-Banker kassiere bei jedem Deal zehn Prozent, erzählte er den MDR-Reportern. Das macht im Monat etwa zwischen 20.000 und 30.000 Euro. An der Steuer vorbei. Hawala ist nicht nur für Flüchtlinge attraktiv, die ihre Familien unterstützen. Es ist ideal für alle, die ihre Geldgeschäfte gern sehr diskret abwickeln. Darunter auch Schlepper, Drogenhändler und Terroristen.

So besteht der konkrete Verdacht, dass die Attentäter von Paris Geld für Waffen und Sprengstoff vom sogenannten Islamischen Staat über Hawala erhalten hatten. Im Fall des in Sachsen verhafteten IS-Terroristen Dschaber al-Bakr, der 22jährige syrische Bombenbastler erhängte sich vor seiner Vernehmung in seiner Zelle, stellten die Ermittler ebenfalls fest, dass er in Leipzig 2.400 Euro über das Hawala-System bekommen hatte.

Offenbar werden Millionensummen unter dem Radar der Behörden über ein weltweit vernetztes Geldtransfersystem illegal verschoben und auch für kriminelle Zwecke genutzt.

Der Boss des Hawala-Netzwerkes in der Region Leipzig-Halle sagte dem MDR, dass allein er im Jahr rund drei Millionen Euro verschiebt. Doch er ist nur ein Teil eines deutschlandweit agierenden Hawala-Systems. Über dieses wird der Transfer von schätzungsweise 70 Millionen Euro im Jahr abgewickelt.

Und die Behörden wissen davon offenbar oft sehr wenig

Der MDR wollte wissen, was deutschen Behörden über Hawala bekannt ist. Das Bundeskriminalamt verwies an das Bundesinnenministerium. Dort hieß es, das Bundesfinanzministerium sei zuständig, da es um Geldtransfers geht.

Von dort erhielt der MDR schriftlich folgende Auskunft:Hawala-Banking ist kein gesetzlich definiertes Geschäft. (…) Werden durch derartige Geldtransfers Straftaten im Inland verwirklicht, ohne die erforderliche Erlaubnis, werden diese Straftaten von den Strafverfolgungsbehörden verfolgt und strafgerichtlich geahndet.“

Eine sehr allgemeine Antwort. Konkrete Angaben über die transferierten Geldmengen: Fehlanzeige.

Die innenpolitische Sprecherin der Linken im Deutschen Bundestag, Ulla Jelpke, hat zu Hawala eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt. Mit dürftigem Ergebnis.

Ulla Jelpke sagte dem MDR: Daraufhin hat mir die Bundesregierung bezeichnenderweise geantwortet, sie weiß über geringe Fälle, Schleuserbereich, Drogenbereich, Terrorismusbereich, aber dass im Großen und Ganzen keine Erkenntnisse vorhanden sind. Also mit anderen Worten: Die Bundesregierung hat sich offensichtlich nicht sehr damit beschäftigt, welche illegalen Geldtransfers es gibt, vor allem eben auch für Terroristen und für die sogenannte organisierte Kriminalität, wie Schleusen und Drogengeschäfte.

In Deutschland drohen Haftstrafen

Die MDR-Recherchen machen deutlich: Offenbar werden bei den Transfers mit Hawala-Banking große Summen zwischen dem Nahen Osten, Nordafrika und dem Rest der Welt verschoben. Unter dem Radar jeglicher Kontrollinstanz.

Das weltweit funktionierende informelle Überweisungssystem hat seine Wurzeln in der frühmittelalterlichen Handelsgesellschaft des Vorderen und Mittleren Orients. Mit dem Hawala-System kann Geld schnell, vertraulich und sehr kostengünstig transferiert werden. In Deutschland ist das Hawala-Banking ohne Genehmigung und Kontrolle der BaFin strafbar.

So wurde Ende 2014 in Leipzig ein dortiger vietnamesischer Reisebüro-Besitzer zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt, der in 800 Fällen insgesamt 14 Millionen Euro gegen eine Gebühr von zwei bis sechs Prozent und ohne Belege von Landsleuten in Deutschland zu Landsleuten ins Ausland transferiert haben soll. Laut seiner Verteidigung hätten Dritte das Geld nach Vietnam geschafft, bewiesen ist das nicht. (FM)