Warum wechselt ein Lebensversicherungsvorstand die Seiten und hilft heute auf dem Service Portal Vertragshilfe24.de Menschen, aus Policen herauszukommen, die sich nicht rechnen?

Das wollten wir genauer wissen und baten Sven Enger zum Interview.

Versicherungs-Insider Sven Enger (58) aus Hamburg © Pressefoto Vertragshilfe24.de
Versicherungs-Insider Sven Enger (58) aus Hamburg © Pressefoto Vertragshilfe24.de

Doch zuvor wollen wir Sven Enger kurz vorstellen.

Sven Enger – der 58jährige Versicherungsexperte aus der Freien und Hansestadt Hamburg studierte Psychologie und Betriebswirtschaft und begann 1993 beim Deutschen Ring, später war er Vertriebsdirektor bei Delta Lloyd, Vorstand der Skandia Lebensversicherung AG in Berlin, Vorstandsvorsitzender für die Bereiche Strategie, Personal und den Aufbau der Insurance Business School von Liberty Hill, einem Hamburger Dienstleister für unabhängige Versicherungs- und Finanzmakler, und schließlich Geschäftsführer des schottischen Lebensversicherers Standard Life in Edinburgh.

Heute ist Enger Unternehmer. Seit 2014 ist er Geschäftsführer des Verlags Zukunft & Gesellschaft und wurde 2018 Associate Partner am Hamburger Weltwirtschaftsinstitut. Seit 2019 ist er beteiligt an dem Hamburger Kreativhaus sam waikiki GbR.

2019 erschien im Econ Verlag, Berlin sein 288 Seiten umfassendes Buch „Alt, arm und abgezockt. Der Crash der privaten Altersvorsorge und wie Sie sich darauf vorbereiten können“ (18 Euro).

Aktuell erklärt Sven Enger auf dem Online-Portal Vertragshilfe24.de in einem Aufklärungsvideo: „Ich habe keine Versicherung für mich abgeschlossen. Und ich würde auch heute keinem mehr raten, eine solche Versicherung abzuschließen. Ganz im Gegenteil: Wäre ich heute noch im Vorstand, würde ich das Produkt der kapitalbildenden Lebensversicherung grundsätzlich aus meinem Portfolio herausnehmen.“

Ein Grund für Enger: „Es ist mittlerweile auch keine Seltenheit mehr, dass man selbst das eingezahlte Kapital als Kunde von der Lebensversicherungsgesellschaft nicht zurückerhält.“

Sven Enger und Liane Kirchenstein

Liane Kirchenstein (58) geht neue Wege in der Rückabwicklung von unrentablen Lebensversicherungen © Pressefoto Vertragshilfe24.de
Liane Kirchenstein (58) geht neue Wege in der Rückabwicklung von unrentablen Lebensversicherungen © Pressefoto Vertragshilfe24.de

Hinter Vertragshilfe24 steht die in der Schweiz lebende Berliner Vertriebsexpertin Liane Kirchenstein (58) und ihre Konzeptional GmbH aus Baar. Liane Kirchenstein und ihr Team haben ein zweistufiges Ausstiegsverfahren aus einer unrentablen Lebensversicherung entwickelt, bei dem der Kunde ein Vielfaches aus dem Rückkaufswert herausbekommen kann, wie das BerlinJournal.biz vor einem Monat berichtete.

Im Interview mit Business-Leaders.net erzählte Liane Kirchenstein im Januar 2024, was das Rückabwicklungs-Konzept ihres Teams so einzigartig macht: „Weil es uns gelungen ist, Spezialisten, die für dieses Konzept geeignet sind, wie Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Finanzmathematiker, Gutachter und Aktuare, für dieses Projekt zusammenzuführen.“

Zu den Spezialisten im Team Vertragshilfe24.de gehört Sven Enger.

Interview mit Sven Enger

Business-Leaders.net: Herr Enger, Sie waren Vorstand mehrerer Lebensversicherungsunternehmen und haben tiefe Einblicke in die Branche, die Abläufe und das System der Versicherungen gewonnen. Was haben Sie durch diese Tätigkeit gelernt?

Sven Enger: „Lernen ist das passende Stichwort, denn tatsächlich musste ich eines erkennen: Das Anliegen, weshalb ich mich für die Branche entschieden habe, lässt sich innerhalb der Lebensversicherungsunternehmen nicht realisieren. Mir war es von Anfang an wichtig, dass die Versicherungen für die Kundinnen und Kunden da sind. Dass sie den Menschen das bieten, was sie sich erhofft haben und was ihnen versprochen wurde. In erster Linie sprechen wir dabei von dem Grundbedürfnis der Sicherheit. Leider ist es jedoch so, dass in der Beziehung Versicherung zu Versicherten eher die Ziele der Konzerne im Mittelpunkt stehen und weniger die Sorgen und Hoffnungen der Menschen.“

Business-Leaders.net: Sie haben aus diesem Grund die Branche trotz Top-Position verlassen und engagieren sich nun bei der Vertragshilfe24.de. Was ist die Aufgabe der Vertragshilfe24?

Sven Enger: „Die Vertragshilfe24.de ist ein Verbraucherportal, das Menschen über Lebensversicherungen aufklären möchte. Es ist leider noch immer so, dass sehr viele Verbraucherinnen und Verbraucher daran glauben, dass das Produkt Lebensversicherung geeignet sei, um ihre finanziellen Ziele zu erreichen. Wir setzen uns dafür ein, aufzuzeigen, warum das in vielen Fällen nicht stimmt und welche Optionen Menschen haben, um ihre finanzielle Sicherheit zu schützen.“

Business-Leaders.net: Was ist Ihre persönliche Motivation, daran mitzuwirken?

Sven Enger: „Wie bereits gesagt, stand für mich immer der Mensch im Mittelpunkt meiner Arbeit. Viele Jahre habe ich versucht, innerhalb des Systems der Lebensversicherungen Verbesserungen durchzusetzen, die den Kundinnen und Kunden einen größeren Nutzen gebracht hätten. Leider bin ich jedoch in der Branche auf taube Ohren gestoßen. Aus meiner Sicht braucht es eine breite Bewegung, die es den Menschen ermöglicht, ihre finanzielle Absicherung wieder in die eigenen Hände zu nehmen. Die Vertragshilfe24.de ist für dieses Ziel die optimale Plattform.“

Business-Leaders.net: Denken Sie, dass das Produkt Lebensversicherung gar keine Daseinsberechtigung hat?

Sven Enger: „In ihrer ursprünglichen Form ist die Lebensversicherung eine sinnvolle Einrichtung. Man muss sich allerdings vor Augen halten, dass sie eigentlich nur Risiken absichern sollte. Nehmen Sie ein ganz klassisches Beispiel: Die Todesfallvorsorge. Es gab eine Gruppe von Menschen, die in die Versicherung eingezahlt hat, und aus dieser Gruppe sind glücklicherweise nur wenige Menschen vorzeitig verstorben. Die Hinterbliebenen wurden finanziell mit den Einzahlungen aller finanziell abgesichert – eine klassische Solidargemeinschaft. Dieses Modell ist jedoch schon länger nicht mehr tragfähig, weil es zu viele Anspruchsberechtigte und gleichzeitig zu wenige Einzahler gibt.“

Solidargedanken mit Renditeversprechen verwässert

Business-Leaders.net: Im Prinzip sind das die gleichen Probleme wie bei der gesetzlichen Rentenversicherung. Kann die Versicherungsbranche dem sinnvoll begegnen?

Sven Enger: „Die Branche ist zumindest herausgefordert, eine höhere Rendite zu erwirtschaften, um allen Ansprüchen gerecht werden zu können. Man hat den Versicherten leider nur nie gesagt, wie schwierig es ist, angemessene Renditen überhaupt zu erzielen. Das liegt zum einen daran, dass die Unternehmen hohe Kosten verursachen, die von den Beiträgen finanziert werden. Und zum anderen müssen sich die Versicherungen an Vorgaben halten, in welche Anlagen sie überhaupt investieren. Meist sind das risikoarme Finanzprodukte, wie etwa Staatsanleihen mit niedriger Verzinsung. Man hat also den Solidargedanken mit einem Renditeversprechen verknüpft und somit nicht nur die ursprüngliche Idee der Lebensversicherung verwässert, sondern auf eine Lösung gesetzt, die sich gar nicht realisieren lassen kann.“

Business-Leaders.net: Die Politik scheint die Versicherungen nicht als Risikofaktor zu sehen oder täuscht dieser Eindruck?

Sven Enger: „Der Politik sind ehrlich gesagt die Hände gebunden. Das große Problem besteht darin, dass in den Lebensversicherungen enorme Geldmengen gebunden sind. Eigentlich müsste die Politik klarstellen, dass die Produkte in vielen Fällen die Erwartungen systembedingt gar nicht erfüllen können. Doch was wäre die Folge? Die Versicherten würden zu einem großen Teil die Verträge kündigen. Das Geld werden die Unternehmen kurzfristig nicht aufbringen können. Ehrlichkeit würde an dieser Stelle also das Risiko für eine Wirtschaftskrise massiv erhöhen.“

Business-Leaders.net: Sie sprachen bereits davon, dass sich das System der Versicherungen nicht von innen heraus reformieren lässt. Werden die Probleme intern gar nicht diskutiert?

Sven Enger: „Sagen wir so, die Probleme mögen bekannt sein, doch sie werden sehr erfolgreich ignoriert. Aus der Innensicht kann ich berichten, dass man sehr schnell in eine Parallelwelt abgleitet, wenn man in der Branche Erfolg haben möchte. Es geht hauptsächlich um wirtschaftliche Kennzahlen und wer diese übertrifft, steigt schneller auf. Das liegt insbesondere an der dominanten Stellung des Strukturvertriebs. Die Versicherungen sind zu Wachstum verdammt, um die Ansprüche der Versicherten wenigstens einigermaßen zu erfüllen und wer seinen Beitrag dazu leistet, wird belohnt. Was das konkret für die Menschen bedeutet, spielt kaum eine Rolle.“

Business-Leaders.net: Was raten Sie Menschen, die eine Lebensversicherung besitzen? Ist es zum Beispiel sinnvoll, sich von dieser noch zu trennen, wenn sie bereits in wenigen Jahren fällig wird?

Sven Enger: „Sollte man kurz vor dem Renteneintritt stehen und die Auszahlung steht ohnehin bald an, sollte man prüfen, ob beispielsweise eine Abwicklung noch sinnvoll ist. Das kommt darauf an, wie zufrieden man mit der voraussichtlichen Auszahlungshöhe ist und ob man das Geld kurzfristig benötigt. Allen anderen Versicherten kann ich allerdings nur dringend empfehlen, sich möglichst schnell vom Vertrag zu trennen. Ist noch ausreichend Zeit, um das Geld anderweitig zu investieren, sollte man dies tun. Dabei sollte man immer im Hinterkopf behalten, dass man die Versicherung gut dafür bezahlt, dass sie das Beste aus den Beiträgen macht. Ich bin sicher, in den meisten Fällen ist es lohnenswerter, wenn man diese Aufgabe selbst und ohne zusätzliche Kosten übernimmt.“

Business-Leaders.net: In einer idealen Welt, wie könnten die Verbraucherinnen und Verbraucher finanziell aus Ihrer Sicht vorsorgen?

Sven Enger: „Ich möchte und kann in der Kürze keine Anlageberatung geben, denn dafür sind die individuellen Situationen und Lebensentwürfe zu unterschiedlich. Mein Wunsch wäre es jedoch, dass Versicherungen, Politik und Verbraucherinnen und Verbraucher sich an einen Tisch setzen und ehrlich sagen, dass das aktuelle System nicht tragfähig ist. Wir sollten wieder die Bedürfnisse der Menschen in den Vordergrund stellen und nach Lösungen für eine zuverlässige und auskömmliche Altersvorsorge suchen. Ein erster Schritt auf diesem Weg ist es, umfassende Aufklärung zu leisten und es den Verbraucherinnen und Verbrauchern zu ermöglichen, ihr finanzielles Schicksal selbst zu gestalten.“

 

Business-Leaders.net: Herr Enger, wir danken für das Interview. (FM)