Die Entwicklung der Zinsen knüpft 2023 dort an, wo das vergangene Jahr aufgehört hat. Die Inflation hat sich zwar in fast allen Industrieländern leicht abgeschwächt, befindet sich aber nach wie vor auf einem hohen Niveau. Den Notenbanken wird nichts anderes übrig bleiben, als die bereits im Jahr 2022 eingeleitete Zinswende auch 2023 weiterzuführen. Erst in dieser Woche haben sowohl die US-amerikanische Notenbank FED, als auch die Europäische Zentralbank EZB die Leitzinsen erneut angehoben. Und dass trotz der jüngsten Turbulenzen an den Finanzmärkten, ausgelöst durch den Kollaps der Silicon Valley Bank und den Schwierigkeiten der Schweizer Großbank Credit Suisse.

Mit einer größeren Finanzkrise rechnen Experten momentan noch nicht. Nach Einschätzung der EZB ist der Bankensektor im Euroraum solide aufgestellt und widerstandsfähig. Auch Bundesfinanzminister Christian Lindner schätzt die Lage in Deutschland als stabil ein. Dennoch herrscht an den Märkten Nervosität und schnell wurden Erinnerungen an die Bankenkrise von 2008 wach. Sie löste nicht nur eine weltweite Finanzkrise aus, sondern leitete auch eine lang anhaltende Niedrigzinsphase ein. Diese endete im Frühjahr 2022 zunächst in den USA, ab Mitte des Jahres wurde die Zinswende dann auch in Europa eingeleitet. Bislang agieren die Notenbanken, beispielsweise die FED, die EZB oder die BoE, behutsam, doch noch ist unklar, wie weit das Zinsniveau noch steigen wird. Die Folgen für Unternehmen, Investoren und Konsumenten sind aber bereits jetzt spürbar.

Im Jahr 2022 nahm die Zinswende ihren Anfang

Mit der aktuellen Erhöhung hat die EZB ihre drei Leitzinssätze seit dem Juli letzten Jahres bereits zum sechsten Mal angehoben. Zuvor, also im Frühjahr 2022, hatte die EZB damit begonnen, die Anleihekäufe zu beenden und hat damit die Zinsanpassung langsam vorbereitet. Die Zinswende war also bereits im März 2022 in Sicht. Am 27. Juli 2022 war es dann soweit: Mit einer ersten Erhöhung um 0,5 Prozent wurde die lange Nullzinsphase beendet. Aktuell liegt der wichtigste Leitzins bei 3,5 Prozent. Die Ursache für die Zinswende ist vor allem auf die rasant gestiegene Inflation zurückzuführen, die sich im Euroraum allerdings anders darstellt als in den USA. Während in den USA die hohe Nachfrage nach den Corona-Jahren die Inflation anheizte, sind in Europa vor allem die explodierten Energie- und Lebensmittelpreise die Ursache.  Laut OECD ist zumindest im laufenden und im kommenden Jahr noch mit einer höheren Inflation zu rechnen.

„Die Geldpolitik muss auf Kurs bleiben, bis es klare Anzeichen dafür gibt, dass die Grundtendenz der Inflation dauerhaft gesenkt wurde.“

Aus dem aktuellen OECD Economic Outlook

Für die G20-Staaten wird für dieses Jahr ein Rückgang auf 5,9 Prozent erwartet und 2024 könnte sich die Preissteigerung bei 4,5 Prozent einpendeln. Die EZB prognostiziert etwas optimistischer und rechnet bereits 2024 mit einer Inflationsrate von 2,5 Prozent bei weiter fallender Tendenz. Ein Grund könnte laut OECD die restriktive Geldpolitik der Notenbanken sein, die langsam ihre Wirkung zeigt. Doch für eine Entwarnung ist es noch zu früh. „Die Geldpolitik muss auf Kurs bleiben, bis es klare Anzeichen dafür gibt, dass die Grundtendenz der Inflation dauerhaft gesenkt wurde“, schreiben die Analysten der OECD in ihrem aktuellen Economic Outlook. Noch überwiegen die Unsicherheiten, beispielsweise durch den Krieg in der Ukraine, starken Preissteigerungen im Dienstleistungssektor aber auch durch die immer noch sehr volatilen Energiemärkte. Wegen dieses Inflationsdrucks müssen die meisten Notenbanken wohl mindestens bis ins nächste Jahr an hohen Leitzinsen festhalten.

Die Leitzinsanpassungen der EZB in den vergangenen Monaten

DatumErhöhung in ProzentpunktenLeitzinssatz in Prozent
21. Juli 20220,5o,5 %
08. September 20220,751,25 %
27. Oktober 20220,752,0 %
15. Dezember 20220,52,5 %
2. Februar 20230,53,0 %
16. März 20230,53,5 %

Wann spricht man von einer Zinswende?

Das wichtigste Instrument der Notenbanken zur Steuerung der Geldmenge und damit indirekt auch die Beeinflussung der Inflation ist ihre Zinspolitik. Je nach wirtschaftlicher Lage kann sie die Leitzinsen senken oder anheben. Dadurch werden Kredite teurer bzw. billiger und durch die Nachfrageanpassungen wird die Geldmenge verändert. Zinsanpassungen sind also erstmal das normale Geschäft einer Notenbank. Von einer Zinswende spricht man aber meistens, wenn nach einer längeren Zinsphase ein Wechsel eingeleitet wird. Das war 2022 nach mehr als zehn Jahren Niedrigzinsen der Fall und wird sich auch in diesem Jahr weiter fortsetzen.

Welche Leitzinsen legt die EZB fest?

Wenn von einer Anpassung der Leitzinsen die Rede ist, steht meist nur eine Zahl im Mittelpunkt. Gemeint ist der Hauptrefinanzierungssatz, auch Leitzins genannt. Zu diesem Zinssatz können sich Banken bei der EZB Geld leihen. Tatsächlich legt die Europäische Zentralbank aber drei Zinssätze fest, mit denen sie ihre Aufgaben erfüllen kann.

Einlagenzinssatz

Dieser Zinssatz gibt an, zu welchen Konditionen Geschäftsbanken ihr Geld bei der EZB anlegen können. Am Einlagenzinssatz orientieren sich auch die Zinsen für Sparprodukte (Stand März 2023: 3,0 %).

Hauptrefinanzierungssatz

Er gilt als der eigentliche Leitzins und gibt den Rahmen vor, zu dem sich Geschäftsbanken bei der EZB Geld leihen können. Damit hat der Hauptrefinanzierungssatz auch Einfluss auf die Kreditkonditionen der Bankkunden (Stand März 2023: 3,5 %).

Spitzenrefinanzierungssatz

Dieser Zinssatz markiert die Obergrenze, zu der sich Banken bei der EZB Geld leihen können. Der Spitzenrefinanzierungssatz wird vor allem für sehr kurzfristige Überbrückungskredite genutzt, um Liquiditätsengpässe der Geschäftsbanken zu vermeiden. Darüber hinaus nimmt die EZB mit ihm Einfluss auf die Zinspolitik am Markt (Stand März 2023: 3,75 %). 

Die Anpassung der Leitzinsen ist das wichtigste geldpolitische Instrument der Zentralbanken. Werden die Zinsen gesenkt, soll die Wirtschaft zu mehr Investitionen angeregt werden. Man spricht dann von expansiver Geldpolitik. Bei Zinserhöhungen, also einer restriktiven Geldpolitik, steht dagegen die Preisstabilität im Vordergrund. Die Zinswende 2022 markiert diesen Kurswechsel der EZB. Mit den nun steigenden Zinsen soll vor allem die Inflation bekämpft werden. Laut Satzung strebt die EZB eine Inflationsrate von zwei Prozent an.

Wie bedeutet die Zinswende 2023 für die Wirtschaft?

Höhere Leitzinsen bedeuten zunächst höhere Kreditzinsen, die sich unmittelbar auf das Investitionsverhalten der Unternehmen auswirken. So zumindest die reine Lehre. Noch scheint die Wirtschaft aber positiv in die Zukunft zu blicken und investiert weiterhin in neue Maschinen und Produktionsanlagen, wenn auch etwas weniger als 2021. Stärker als die Zinswende haben die extrem gestiegenen Energiekosten den Unternehmen Sorgen bereitet. So ist seit dem letzten Jahr immer öfter von De-Industrialisierung die Rede und von Verlagerungen der hiesigen Produktionsstätten ins Ausland. Ob sich eine Investition lohnt, hängt eben nicht nur von den Zinsen ab, sondern insgesamt auch von höheren Anschaffungskosten und den Erwartungen. Werden die Geschäftsaussichten positiv eingeschätzt, können auch etwas höhere Fremdkapitalkosten verkraftet werden. Ist der Preis des Geldes aber zu hoch, ist das Wirtschaftswachstum gefährdet.

Mindestens ebenso wichtig für die Unternehmen ist das Konsumverhalten. Steigende Preise und eine hohe Unsicherheit über die weitere Entwicklung führen zu einer Kaufzurückhaltung der Konsumenten. Zudem kann eine hohe Inflation auch die Arbeitslosigkeit erhöhen. Dies ist in Deutschland bisher nicht zu erwarten. Allerdings belastet der Fachkräftemangel die Wirtschaft und behindert zunehmend nicht nur das weitere Wachstum, sondern ebenso die Energiewende.

Zinswende erschwert 2023 immer mehr Baufinanzierungen

Die Immobilien- und Bauwirtschaft steht von mehreren Seiten unter Druck. Steigende Zinsen für Immobilienkredite könnten das Fass zum Überlaufen bringen. Und die haben schon vor der Zinswende in Europa kräftig angezogen. Grund sind die für langfristige Kredite wichtigeren Anleiherenditen. Und die steigen bereits seit Ende 2021. Private Immobilienverkäufer können davon kaum profitieren, denn die gestiegenen Preise für Baumaterialien, Handwerker und Grundstücke haben vor allem private Bauherren bereits stark belastet und für sinkende Immobilienpreise gesorgt. Gleichzeitig wird der Neubau von Häusern immer teurer. Bei gestiegenen Kreditzinsen von derzeit bis zu vier Prozent wird der Traum vom Eigenheim für immer mehr Menschen unerschwinglich. Hinzu kommt die Umschuldung auslaufender Kreditverträge mit langjähriger Zinsbindung. Das kann auch manche Baufinanzierung deutlich erschweren, die in Zeiten niedriger Zinsen noch funktioniert hat. Entwarnung ist nicht in Sicht, denn Experten halten bis zum Jahresende einen Anstieg auf bis zu fünf Prozent für Verträge mit zehnjähriger Zinsbindung für möglich. Die Auswirkungen des Zinsniveaus lassen sich bereits an den neu vergebenen Hypothekenkrediten ablesen. Diese befinden sich Anfang 2023 bereits auf einem historischen Tiefstand und die Nachfrage bleibt verhalten.

Sparer profitieren von der Zinswende 2023

Zu den Profiteuren der Zinswende könnten 2023 vor allem die Sparer gehören, die seit Jahren darauf warten, dass Tagesgeld und Sparbuch endlich wieder Zinsen abwerfen. Erste Kreditinstitute haben ihre Guthabenzinsen auf Einlagen bereits angepasst. Bei schnell verfügbaren Guthaben wie dem Sparbuch ist davon allerdings noch nicht viel zu sehen. Höhere Zinsen gibt es meist für Festgelder mit mehrjähriger Laufzeit. Hierfür ist es aber möglicherweise noch zu früh. Es lohnt sich, die weitere Entwicklung zu beobachten. In der Regel vergehen einige Wochen, bis die Banken die gestiegenen Leitzinsen auch an ihre Kunden weitergeben. Sind weitere Zinsschritte der EZB zu erwarten, kann sich eine spätere Festlegung lohnen. Vorsicht ist allerdings bei Kontokorrentkrediten geboten, da diese schneller angepasst werden. Bevor man sein Geld in langfristige Sparprodukte investiert, ist es meist rentabler, das Konto auszugleichen. Auch bei den Ratenkrediten schlägt die Zinswende erst 2023 richtig durch. Gegenüber dem Vorjahr haben sich die Zinsen nahezu verdoppelt.

So wirken steigende Zinsen auf die Aktienmärkte

Aktionäre fürchten steigende Zinsen. Diese alte Regel ist sehr plakativ und trifft die Realität meist nur sehr ungenau, denn derzeit ist dieses Szenario nur bedingt zu beobachten. Ein Grund dafür ist die nach wie vor starke Wirtschaft. Die Unternehmen konnten bislang überwiegend solide Geschäftsergebnisse vermelden. Im vergangenen Jahr hat sich die Zinswende weniger stark auf die Aktien-Kurse in Europa ausgewirkt als die stark schwankenden Energiepreise. In den USA sind vor allem die Tech-Wert unter die Räder gekommen, konnten sich aber im letzten Quartal wieder deutlich erholen. Diese vermeintliche Ruhe muss aber nicht so bleiben. Denn steigende Zinsen könnten sich noch bemerkbar machen. Sie erhöhen die Kosten und sorgen für Unsicherheit. Und Unsicherheit mögen Aktionäre noch weniger als steigende Zinsen.

Drei Gründe sprechen für einen Liquiditätsabfluss aus den Aktienmärkten. Erstens werden die Finanzierungskosten für Unternehmen teurer, was sich auf die Gewinne auswirkt. Die Konsumenten reagieren auf steigende Preise und halten sich mit größeren Anschaffungen zurück. Auch dies gefährdet die Ertragslage der Unternehmen. Beides kann gegen eine Anlage in Aktien sprechen. Alternativ könnten Anleger bei steigenden Zinsen auf Anleihen oder andere Sparformen mit fest zugesagter Rendite setzen. Tatsächlich spricht derzeit nicht viel für einen solchen Wechsel. Wegen der hohen Inflation sind die Renditen von Anleihen noch recht bescheiden oder sogar negativ. Gute Aktienwerte können dagegen mit stabilen Kursentwicklungen überzeugen und Dividendenrenditen erzielen, die zumindest in vielen Fällen über den Renditen von Anleihen liegen. Zwar überwiegt an den Aktienmärkten derzeit noch die Unsicherheit, ein massiver Abzug von Liquidität dürfte aber vorerst ausbleiben. Der Deutsche Aktienindex DAX zeigt sich jedenfalls bislang recht unbeeindruckt von der Zinswende auch in den ersten Monaten des Jahres 2023. Stärkere Rückschläge mussten Aktionäre eher durch steigende Energiepreise hinnehmen. Auf Sicht von mehreren Monaten konnten die meisten Titel aber ihre Verluste wieder ausgleichen und befinden sich seitdem in einer Seitwärtsbewegung.

Wie geht es weiter?

2023 lässt sich kaum von einer Zinswende sprechen, da die Zentralbanken weiterhin vor allem darauf setzen, die Inflation zu bekämpfen. Das hat auch die jüngste Entscheidung der EZB gezeigt, die trotz der sich abzeichnenden Bankenkrise an ihrem Stabilitätsziel von zwei Prozent festhält. Aus heutiger Sicht ist es daher sehr schwierig, die Entwicklung der nächsten 12 bis 24 Monate vorherzusagen. Mit weiteren Zinserhöhungen ist allerdings zu rechnen. Bei ihrem aktuellen Zinsentscheid hat die EZB noch keinen Ausblick gewagt. Einige Marktbeobachter werten dies als erstes vorsichtiges Zeichen für ein Ende des Zinsanstiegs. Entscheidend wird sein, wie sich die Inflation entwickelt. Im Moment sieht es zwar nach einer Entspannung aus, aber auch in den nächsten zwei Jahren ist zumindest in der Eurozone mit einem Niveau von 4 bis 5 Prozent zu rechnen. Ab 2025 könnte dann wieder eine Zwei vor dem Komma stehen. Bis dahin werden die Zinsen nicht kontinuierlich weiter steigen. Experten rechnen noch in diesem Jahr mit einem Höchststand. Dieser könnte bei 3,75 bis 4,25 Prozent liegen, was je nach Inflationsrate immer noch negative reale Leitzinsen bedeuten würde.

(TF)

Die Fed will die Zinsen schnell anheben