Manche vergleichen ja schon die Mainzer Uni-Ausgründung BioNTech SE und ihren Gewerbesteuer-Geldsegen von rund 1 Milliarde Euro mit dem sagenhaften Rheingold-Schatz der Nibelungen, den der Vasall Hagen von Tronje im 4. Jahrhundert stahl und kurzerhand in den Rhein gekippt haben soll und der bis heute nicht gefunden wurde. Der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (55, SPD) bleibt dennoch bodenständig.

Mainz von oben © Landeshauptstadt Mainz
Mainz von oben © Landeshauptstadt Mainz

Dank des Impfstofferfolges von BioNTech ist Mainz zu fantastischem Reichtum gelangt. Dabei gehörte die Stadt bisher zu den am höchsten verschuldeten in der Republik.

Gemessen an der Pro-Kopf-Verschuldung gehörte Mainz jahrelang zu den zehn am höchsten verschuldeten Städten in Deutschland. Selbst für die Bewässerung ihrer 69 Brunnen war die Stadt zu pleite, eine Privatinitiative musste aushelfen. Alles änderte sich mit der Pandemie. Seit Corona schwelgt Mainz in plötzlichem Reichtum – genauer gesagt, seit das in der Rheinstadt ansässige Unternehmen BioNTech den ersten wirksamen Impfstoff entwickelte.

Aber wie geht ein Armer mit unerwartetem Wohlstand um?

Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling mit Amtskette © Landeshauptstadt Mainz
Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling mit Amtskette © Landeshauptstadt Mainz

Mit großer Vorsicht. Der seit 2012 amtierende SPD-Oberbürgermeister Michael Ebling (Monatsverdienst rund 11.700 Euro plus Spesenpauschale), der mit seinem Ehepartner in Mainz-Mombach lebt und der an der Johannes-Gutenberg-Uni Main Juristerei studierte, ist Realist. Statt nur auf einen Goldesel will der Politiker künftig viele kleine Goldesel wie BioNTech in Mainz ansiedeln. Vor allem mit weiteren Uni-Ausgründungen.

Sich allein auf BioNTech zu verlassen, wäre möglicherweise fatal.

Denn der Aktienkurs der seit 2019 börsennotierten BioNTech SE schwankt gewaltig

Im November 2021 deckte eine ehemalige Studienleiterin in Texas im renommierten Fachmagazin British Medi­cal Journal (BMJ) auf, dass der amerikanische BioNTech-Partner Pfizer aus New York bei den ersten Tests des neuartigen mRNA-Covid-19-Impfstoffs in Texas im Juli 2020 geschlampt haben soll. Man sprach bereits von einem Pfizer-Gate. Die von Pfizer beauftragte US-Firma Ventavia habe „Daten gefälscht, Patienten entblindet [An­mer­kung: sie wussten also, ob sie Impfstoff oder Placebo er­halten haben], wenig geschulte Impfärzte beschäftigt und Nebenwirkungen nur unzureichend verfolgt.“

Der Konzern Pfizer ist ebenfalls börsennotiert. Der größte Anteilseigener von Pfizer ist der Finanzdienstleister Vanguard Group, der zweitgrößte die Investmentgesellschaft Blackrock.

Der Aktienkurs der BioNTech SE brach nach der Aufdeckung um mehr als 20 Prozent ein. Der Konzern verlor damit mehr als 9 Milliarden Euro an Börsenwert – das ist mehr als der Marktwert der Lufthansa.

Biontech versprach Aufklärung. Die blieb nun auch drei Monate nach der Enthüllung – zumindest öffentlich – aus.

Stattdessen kündigte BioNTech SE eine neue Studie gegen die Omikron-Variante an

Am 25. Januar 2022 haben der Impfstoffhersteller BioNTech und sein US-Partner Pfizer bekannt gegeben, mit einer klinischen Studie für einen potenziellen Omikron-Impfstoff begonnen zu haben. Bis März 2022 soll BioNTech eigenen Angaben zufolge für eine Belieferung des Marktes bereit sein. Bei einer erfolgreichen Markteinführung des neuen Impfstoffes könnten die Pharmakonzerne zusätzlich an Auffrischungsimpfungen verdienen.

Prompt klettert der Aktienkurs von BioNTech wieder nach oben. Er ist zwar noch von seinem Allzeithoch von rund 397 Euro pro Aktie im August 2021 weit entfernt, aber er kletterte nach der Ankündigung der neuen Studie auf 147 Euro – ein Plus von rund 35 Prozent auf Monatssicht.

Michael Ebling kann sich also weiter freuen
Michael Ebling (rechts, 55, SPD) aus Mainz-Mombach, seit 2012 Oberbürgermeister von Mainz in Rheinland-Pfalz © Landeshauptstadt Mainz
Michael Ebling (rechts, 55, SPD) aus Mainz-Mombach, seit 2012 Oberbürgermeister von Mainz in Rheinland-Pfalz © Landeshauptstadt Mainz

Statt der für 2021 erwarteten Mehrausgaben von 36 Millionen Euro hat der Stadtsenat im Winter einen Haushaltsüberschuss von 1,09 Milliarden Euro angekündigt. Da für 2022 ein weiterer Überschuss von 490,8 Millionen Euro erwartet wird, hofft Mainz, seine restlichen Schulden innerhalb eines Jahres abbauen zu können.

Die Stadt mit rund 217.000 Einwohnern im Westen von Rheinland-Pfalz hat seit Anfang der 90er Jahre, als die Behörden einen Kredit aufnahmen, der auf 1,3 Milliarden € anwuchs, eine lähmende Schuldenlast zu tragen. Im ersten Jahr der Pandemie sind in der Stadt am Rhein weitere 30 Millionen Euro allein an Zinsen angefallen.

Vor der Covid-19-Pandemie war das wichtigste Geschenk von Mainz an die Welt die Druckerpresse, deren Erfinder, Johannes Gutenberg, in der Stadt um 1440 ein Verfahren zum Drucken mit beweglichen Lettern entwickelte.

Der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling sagte, die bahnbrechende Entwicklung des mRNA-Impfstoffs von BioNTech sei von ebenso herausragender Bedeutung. Er sagte dem Guardian, er wolle die Steuergelder zur Begleichung der Schulden seiner Stadt verwenden und nicht in spektakuläre Infrastrukturprojekte investieren.

Business Leaders bat Oberbürgermeister Michael Ebling zum Interview
Mainz will neue Wirtschaftsflächen erschließen © Landeshauptstadt Mainz
Mainz will neue Wirtschaftsflächen erschließen © Landeshauptstadt Mainz

1. Business Leaders: Von Januar bis September 2021 machte BioNTech 10,3 Milliarden Euro Gewinn vor Steuern, wovon es 3,2 Milliarden Euro an Steuern zahlte – allerdings hat das Unternehmen mehrere Standorte in Deutschland und gibt nicht an, in welche Kommunen das Geld geflossen ist, wie wir hier berichteten.

Die Stadt Mainz rechnet für das Jahr 2021 mit Steuereinnahmen von rund 1 Milliarde Euro und einem Überschuss im Haushalt von rund 491 Millionen Euro. Laut Ihrer Pressekonferenz vom November 2021 will die Stadt unter anderem mit den Steuereinnahmen von BioNTech in die Zukunft investieren. Sie wollen die Stadt in den nächsten zehn Jahren zum Zentrum der Biotechnologie machen? Insbesondere für Krebs- und Altersforschung. Wie genau soll das aussehen und wie wollen Sie das umsetzen?

Michael Ebling: „Mainz verfügt bereits über mehrere (Forschungs-)Unternehmen, die sich mit der Krebs- und Altersforschung, den Life Sciences, beschäftigen. Das liegt auch an der sehr forschungsstarken Universitätsmedizin und am Universitäts- und Hochschulstandort. BioNTech ist auf diesem Feld natürlich aktuell der Leuchtturm. Da liegt es nahe, einen BioTechHub zu etablieren und weitere Unternehmen aus diesem Feld zur Ansiedlung oder Ausgründung zu bewegen. Aufgabe der Stadt Mainz ist es hier vor allem, die entsprechenden Flächen und die passende Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Und nicht zuletzt auch Wohnraum und eine lebenswerte Stadt bieten zu können für die Mitarbeiter:innen dieser Unternehmen.“

2. Business Leaders: Warum mussten Sie jedoch aktuell unter den Nägeln brennenden Problemen in der Stadt eine Absage erteilen – wie Begehrlichkeiten von Kita- und Schulleitungen etwa nach einer neuen Turnhalle, wie von SWR Aktuell-Moderator Sascha Becker auf der Pressekonferenz nachgefragt?

Michael Ebeling: „Gemeinsam mit dem Stadtvorstand und dem Stadtrat haben wir beschlossen, dass es unser erstes und oberstes Ziel sein muss, unsere Schulden zu tilgen. Denn damit eröffnen sich Möglichkeiten für die Zukunft – für Investitionen in Schulen und Kitas, in Turnhallen, in Wohnungsbau, in den Ausbau der (Verkehrs-)Infrastruktur. Dieses Ziel werden wir bis zum Jahresende 2022 aller Voraussicht nach erreicht haben. Und dann wollen wir das Geld klug nutzen, um unsere Stadt fit für die Zukunft zu machen und langfristig Unternehmen am Standort Mainz anzusiedeln, die dazu beitragen werden, dass zukünftig stetig mehr Steuergelder in die Stadtkasse fließen.“

Neue Steueroase in Rheinland-Pfalz

3. Business Leaders: „Wollen Sie mit der Senkung des Hebesatzes für Gewerbesteuern von 440 auf 310 Prozentpunkte in diesem Jahr gar zu einer Steueroase in Rheinland-Pfalz werden? Was versprechen Sie sich von diesem Steuergeschenk an Unternehmen für die Stadt Mainz?

Michael Ebeling: „Mit der Senkung des Gewerbesteuerhebesatzes werden wir noch längst keine Steueroase in Rheinland-Pfalz. Wir gleichen uns beispielsweis lediglich an unsere Nachbargemeinde Ingelheim an, die schon seit Jahren diesen Hebesatz hat.

Natürlich erhoffen wir uns durch die Senkung aber auch, dass sich neugründende Unternehmen – und da sprechen wir insbesondere von Ausgründungen aus der Universitätsmedizin Mainz – einen Anreiz haben, hier am Standort zu bleiben.“

4. Business Leaders: Gibt es auf Ihrem Weg zum Projekt „BioTechHub“ schon einen ersten konkreten Etappensieg? Wenn ja, welchen?

Michael Ebeling: „Ein erster großer Aufschlag war mit Sicherheit die Festlegung geeigneter Flächen (zirka 30 Hektar), an denen entsprechende Unternehmen angesiedelt werden können. Dies betrifft Flächen der GFZ-Kaserne sowie des Hochschulerweiterungsgeländes. Beide Standorte sind mit ihrer Nähe zu Universität und Universitätsklinikum besonders interessant für die Zielgruppe. Hier sind wir mitten im Planungsprozess und werden in diesem Jahr mit ersten Baumaßnahmen beginnen können. Im Bereich der GFZ-Kaserne müssen wir noch etwas geduldig sein, bis die Bundeswehr bereit für den Auszug ist und die Stadt das Grundstück erwerben kann. Hier sind wir aber optimistisch, dass dies in absehbarer Zeit der Fall sein wird.

Erfreulich ist zudem, dass die Zentrale Beteiligungsgesellschaft der Stadt Mainz mbH (ZBM) mit Dr. Annette Deynet-Vucenovic und Jan Uphoff zwei kompetente Fachleute gewinnen konnte, welche das Projektteam zur Entwicklung des BioTechHubs um Felix Wälder (Prokurist) und Constanze Bühler (Referentin Business Development) unterstützen. Weiterhin wurde bereits Ende letzten Jahres im Büro des Oberbürgermeisters die Leitstelle Biotechnologie eingesetzt, die von Moritz Oldenstein koordiniert wird.“

5. Business Leaders: Was ist auf diesem Weg das dickste Brett, das die Stadt noch zu bohren hat?

Michael Ebling: „Um die gegenwärtige Situation für unsere Stadt optimal zu nutzen, ist ein gewisses Maß an Eile geboten, da die Nachfrage aufgrund der derzeitigen Berichterstattung erwartungsgemäß hoch ist. Es ist unser Ziel auf den oben genannten Flächen schwerpunktmäßig Start-ups und Firmen aus den Bereichen der Alters- und Krebsforschung anzusiedeln.

Da die Entwicklung solch großer Flächen immer anspruchsvoll und mit Blick auf die Zeitschiene mit Sicherheit auch sehr ambitioniert ist und viele Stellen in Stadt und Land eingebunden werden müssen, ist es wichtig, die notwendigen Abstimmungsprozesse gut zu begleiten und zu unterstützen. Hierbei sollen unter anderem die bereits oben genannten Kolleg:innen helfen.

Die Stadt Mainz tut alles dafür, die besten Rahmenbedingungen zu schaffen und dauerhaft zu bieten. Medizinische bzw. klinische Forschung ist immer mit einem gewissen Risiko behaftet, wir drücken also allen Unternehmen in diesem Bereich, aber auch der Stadt, für eine weitere positive Entwicklung die Daumen.“

Business Leaders: „Herr Ebling, wir danken für das Interview.“

Auf 5.000 zusätzliche Jobs hofft die Stadt in den kommenden Jahren. „Wir haben im Moment das Glück, so etwas wie die Apotheke der Welt geworden zu sein durch die Firma BioNTech“, sagte OB Ebling am 24. Januar 2022 in der ARD-Tagesschau. Man wolle aber auch ein international sichtbarer Biotech-Hub werden. Dann könne man in Mainz auch andere Firmen ansiedeln.

Namen will Ebling noch nicht preisgeben. Aber er freue sich schon, dass es noch dieses Jahr den Spatenstich einer Firma geben werde, die noch nicht in der Stadt sei.

Aber selbst der unerwartete Geldsegen schaffe Probleme – Michael Ebling: „Es gibt einen Flaschenhals.“

Das sei zum einen die Bauindustrie und das Handwerk: keine Baustelle, die nicht hinter dem Zeitplan hinke. „Und zum anderen finden wir nicht immer die Fachmenschen, die wir bräuchten, um Projekte umzusetzen.“

Lieber Bargeld-Strafzinsen als Schuldzinsen

Es ist zwar ein Luxusproblem, aber ein teures: Das Geld von BioNTech landet in verschiedenen Tranchen auf den Konten der Stadt. Am 15. Februar 2022 steht die nächste Zahlung an.

Wegen der hohen Steuereinnahmen wird die Stadt Mainz nach eigenen Berechnungen „einen hohen sechsstelligen Betrag“ an Strafzinsen zahlen müssen. Das Geld verlangen die Banken für Guthaben auf den Konten der Stadt.

Für dieses Geld werden Negativzinsen, umgangssprachlich auch Strafzinsen genannt, fällig – wie bei einem privaten Konto auch. „Aber immer noch günstiger, als Zinsen auf die Schulden zu zahlen“, sagte der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling dem SWR. (FM)